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Bevor du stirbst: Roman (German Edition)

Bevor du stirbst: Roman (German Edition)

Titel: Bevor du stirbst: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Camilla Grebe , Åsa Träff
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auf dem Foto im Jahrbuch der Schule. Kleiner als in meiner Vorstellung, mit dunklen, leicht gelockten Haaren, die an den Schläfen grau werden. Er ist sehnig, fast schon mager, mit leicht eingesunkenen Wangen und hellgrauen Augen. Er begrüßt mich mit breitem Lächeln wie eine alte Bekannte.
    »Siri, richtig?«
    Ich nicke und erwidere sein Lächeln, gehe durch das Tor, das automatisch und lautlos geöffnet wird.
    »Schönes Haus.«
    Er nickt und macht ein nachdenkliches Gesicht. Zögert einen Moment.
    »Doch, es ist natürlich ein gewaltiges Privileg, hier wohnen zu können, aber es kostet. Finanziell und auch sonst. Ab und zu habe ich das Gefühl, dass ich dem Haus gehöre und nicht umgekehrt.« Er lächelt kurz und starrt den Kies an, als ob er bereut, das gesagt zu haben.
    Ich lächele verständnisinnig, als wüsste ich genau, wie es ist, von einem Haus besessen zu werden, und folge ihm in die Diele.
    Zwei dünn angezogene Männer im Blaumann nähern sich von der Querseite her, gehen auf Ulrik zu und stellen in gebrochenem Englisch eine Frage. Ulrik zeigt auf eine Bude weiter hinten im Garten, und sie trotten weiter.
    »Handwerker, du weißt schon.«
    Er lächelt, wie um sich zu entschuldigen, gibt an der Haustür einen Code ein und geht ins Haus. Ich folge ihm. Eine ganze Wand ist bedeckt von einem riesigen Schwarzweißfoto einer nackten Frau, die sich einen Totenschädel zwischen die Brüste hält. Die dunklen Haare fallen wie ein Vorhang vor ihr Gesicht. Ulrik muss meinen Blick gesehen haben, denn er lacht leise und tippt meine Schulter an.
    »Marina Abramovi ć , serbische Künstlerin. Ja, sie ist das auch auf dem Foto. Sie ist … Subjekt und Objekt zugleich, kann man vielleicht sagen. Ich habe es vor einigen Jahren in New York gekauft. Weiß nicht, was ich mir dabei gedacht habe, es war viel zu teuer. Aber kein Tag vergeht, an dem ich nicht hier stehe, vor dem Bild und … einfach glücklich bin. Es ist fast nicht zu beschreiben. Verstehst du?«
    Wieder nicke ich. Das Bild ist hypnotisch, und ich glaube Ulrik. Was er sagt, klingt ehrlich, nicht klischeehaft oder überlegt.
    »Komm, wir gehen in die Bibliothek.«
    Ich klettere über einen Haufen Legosteine und folge ihm in einen Raum, der wirklich einer altmodischen Bibliothek gleicht. Die an der Wand angebrachten Bücherregale ziehen sich überall von der Decke bis zum Boden. In einer Ecke steht eine Leiter. Mitten im Zimmer liegen Stapel von zusammengefalteten Umzugskartons. Er sieht meinen Blick.
    »Wir gehen ins Ausland. Aber nur für ein halbes Jahr, deshalb nehmen wir nur das Nötigste mit.«
    »Die Legosteine?«
    »Genau.« Er lacht und winkt mir, mich in einen lindgrünen Carl-Malmsten-Sessel zu setzen.
    »Kaffee?«
    »Gern.«
    Als er in der Küche verschwindet, stehe ich auf und gehe zu einem Bücherregal, lasse die Hand über die Buchrücken wandern. Biografien, Krimis, Fachliteratur. Ulrik scheint alles zu lesen. Viele Taschenbücher – ein sicheres Zeichen dafür, dass der Besitzer gern liest und sich nicht nur mit Büchern einrichtet.
    »Lisa und ich lesen beide viel.«
    Er steht plötzlich mit zwei dampfenden Kaffeetassen auf einem kleinen Tablett hinter mir.
    »Was macht deine Frau?«
    »Sie ist Hebamme. Aber sie ist seit vier Jahren zu Hause. Seit wir Sixten bekommen haben. Und jetzt haben wir noch eine Kleine von acht Monaten, Linn. Ja, das siehst du ja.«
    Er zeigt auf einige Schnuller, die auf dem Parkettboden herumliegen. Dann mustert er mich mit neuem Interesse.
    »Ich habe dich auf Stefans Beerdigung gesehen.«
    »Es tut mir leid.« Ich zögere. »Ich kann mich nicht an dich erinnern.«
    »Da ist ja wohl kein Wunder. Du hattest wirklich andere Sorgen.«
    Ich nicke, schaue die Kaffeetasse auf dem Tablett an. Er hat natürlich recht. In meiner Erinnerung erscheint die Zeit nach Stefans Tod als vager Traum. Dass Aina bei mir eingezogen ist, sich um mich gekümmert hat. Dass ich im Bett lag, bis sie mich im wahrsten Sinne des Wortes aufhob und zum Duschen zwang. Dass mir das Essen so schwerfiel – jeder Bissen blieb mir im Mund stecken, verwandelte sich in einen geschmacklosen aufquellenden Teig, den ich einfach nicht hinunterwürgen konnte.
    An die Beerdigung habe ich nur Bruchstücke von Erinnerungen. Der Mosaikboden in der Kapelle. Die Stimme der Pastorin, auf unpersönliche Weise emphatisch. Eine professionelle Seelsorgerin mit halbem Engagement. Das hat mich sehr gestört. Das Leben, wie ich es kannte, hatte doch aufgehört zu

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