Bevor du stirbst: Roman (German Edition)
existieren. Mir war meine gesamte Zukunft gestohlen worden. Und da stand die alte Kuh und predigte, als ob alles seine Ordnung hätte. Ich erinnere mich auch an den Duft der Blumen, die vielen Kränze und Sträuße und einzelne Blumen, die sich auf dem Sarg und daneben drängten.
Dann: nichts.
Ich weiß nicht mehr, wer da war oder was sie zu mir gesagt haben, auch wenn ich annehme, dass ich mit den Gästen gesprochen habe. Ich erinnere mich nicht mehr an Kaffee und Kuchen oder wie ich nach Hause gekommen bin.
»Stefan hat dich nie erwähnt«, sage ich.
Ulrik zuckt mit den Schultern und stellt die Kaffeetasse mit einem Knall auf einen kleinen eleganten Marmortisch mit gekrümmtem Fuß.
»Es gab vielleicht nicht so viel zu sagen. Nach dem Gymnasium hatten wir ja kaum Kontakt. Ich bin zum Studium in die USA gegangen, hatte ein Stipendium. Und Stefan, der hat dann doch Medizin studiert. Wir haben uns einfach aus den Augen verloren, nehme ich an.«
»Wir war er damals, Stefan? Ich bin neugierig.«
Ulrik grinst.
»Er war ein unerträglicher Besserwisser. Wir waren alle unerträglich. Überzeugt von unserer eigenen Vortrefflichkeit. Unerträglich und unsterblich.« Er legt eine Pause ein, fährt sich mit der Hand durch die graumelierten Haare. »Wir haben gefeiert, als ob es kein Morgen gäbe. Und das gab es damals ja auch nicht. Niemand, für den wir Verantwortung hätten übernehmen müssen. Nur für uns selbst. Was schwer genug war.«
»Und die anderen?«
»Die anderen.« Er lacht und sieht mich entzückt an. »Du hast den Durchblick, wie ich sehe.«
»Ich habe mit Anders Holmbergs Vater gesprochen. Er hat gesagt, dass ihr immer zusammen wart, du, Stefan, Anders und ein gewisser Mikael Arvidsson.«
Ulrik sinkt in dem grünen Sessel ein wenig tiefer, sein Gesicht wirkt gequält.
»Anders, ja …«
Dann verstummt er.
»Warum ist er ermordet worden, was glaubst du?«
»Ich bin davon überzeugt, dass es ein Versehen war. Kein Mensch hätte Anders etwas tun wollen, das kann ich garantieren. Er hatte niemals Feinde, nicht einmal auf dem Gymnasium, obwohl er ein reicher Protz war und den harten Brocken spielte, aber innerlich war er weich. Wie ein Ei. Und dann, als er Rebecca kennengelernt hat und die Kinder kamen, wurde er ein richtiger Pantoffelheld. Ich glaube, der Kerl hat den Falschen umgelegt, so einfach ist das. So was kommt doch vor?«
Er sieht mich fragend an, als ob ich die Antwort wissen müsste. Aus der Küche höre ich Hammerschläge und ein leises Gespräch auf Polnisch.
»Noch Kaffee?«
Ich schüttele den Kopf.
»Hattest du Kontakt zu Anders?«
»Eigentlich nicht. Er ging nach Uppsala zum Jurastudium. Dann passierte einfach zu viel, ich weiß nicht. Ist das nicht so? Das Leben? Dinge passieren, man entwickelt sich in unterschiedliche Richtungen. Ich bin jedenfalls nicht mehr der von damals, Gott sei Dank. Damals war ich ein echter Arsch.«
Dann beugt er sich vor, als sei ihm etwas Wichtiges eingefallen.
»Aber wir hatten im letzten Jahr einen gewissen Kontakt. Vor … ja, vor dem Mord. Ich weiß nicht, ob sein Vater das erzählt hat, aber Anders hatte doch einen ziemlich schweren Verkehrsunfall, und danach hatte er sich in gewisser Weise verändert.«
»Wie denn verändert?«
Ulriks Blick wandert an den Bücherregalen entlang zum Fenster.
»Er wurde sozusagen … ach, verdammt, ich weiß nicht. Vielleicht nicht religiös, aber auf irgendeine Weise wirkte er ein wenig bekehrt. Als ob er das Leben jetzt anders sähe. Er engagierte sich dann auch für wohltätige Zwecke und so. Und hat sich bei mir gemeldet.«
»Und der Vierte im Bunde, Mikael Arvidsson?«
Ulrik schüttelt langsam den Kopf.
»Arvidsson. Armer Teufel. Er war immer unten in der Hackordnung. Obwohl er sicher der Begabteste von uns war. Aber er war … ein wenig zerbrechlich, anders. Passte nicht richtig dazu, irgendwie. Wir haben ihn immer Mamasöhnchen genannt, das war er nämlich. Aber wer wäre bei der Mutter nicht zum Mamasöhnchen geworden? Obwohl es ja doch verdammt gemein von uns war …«
Pause.
»Tatsache ist, dass er noch immer bei seiner Mutter in Lidingö wohnt. Er ist nie ausgezogen. Ich glaube, er säuft. Ist das nicht seltsam? In dem Alter ist man in gewisser Weise so gleich. Und dann … Heute sind Stefan und Anders tot und Micke säuft. Wer hätte das damals gedacht?«
Seine Stimme versagt.
»Was war mit seiner Mutter?«
Ulrik verzieht den Mund, sein Lächeln wird zu einer anzüglichen Grimasse.
»Sie
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