Bevor du stirbst: Roman (German Edition)
wandte sich an Stefan. »Ist doch klar, dass das Mädel Aids haben kann. Ich kenne einen, der kam in einer Kneipe mit einer sautollen Frau ins Gespräch. Ich glaube, es war im Opera.« Micke legte eine Kunstpause ein, sah sich um, um sich davon zu überzeugen, dass die anderen ihm zuhörten, dass er sein Publikum hatte. »Sie war einfach super. Sah so ein bisschen aus wie Cindy Crawford. Jedenfalls ging sie dann mit ihm nach Hause und war offenbar total geil. Wollte alles, und sie haben die ganze Nacht gevögelt. Am nächsten Morgen wacht er auf, und die Frau ist weg. Aber als er in die Diele kommt, hat sie mit Lippenstift etwas auf den Spiegel geschrieben, und wisst ihr, was?« Wieder verstummte Micke und sah sich um, ehe er weitersprach. »Da stand: Willkommen im Aidsclub. Kapiert ihr? Sie verbreitet aus purem Jux Aids.«
Anders schüttelte den Kopf.
»Das glaub ich nicht. Das ist doch nur eine Geschichte. Und hier gibt es keine Frauen, die so toll sind wie Cindy.«
Anders lachte, und Stefan und Ulrik stimmten dankbar ein. Stefan meinte, Anders habe recht. Dass es eine Lügengeschichte war. Dass es keine rachsüchtigen Frauen gab, die im Café Opera die Leute mit Aids infizierten. Außerdem kam ihm die Vorstellung, Magdalena könne infiziert sein, einfach blöd vor. Stefan hielt sie für ziemlich unerfahren, und dass Ulrik sie als Hure bezeichnete, machte ihn noch wütender. Aber er spielte weiter mit, tat noch immer so, als sei nichts passiert.
»Wir müssen noch etwas anderes besprechen.« Ulrik beugte sich vor und schaute sich in dem leeren Garten um, überzeugte sich davon, dass sie allein waren. Die anderen folgten seinen Blicken. Stefan war dankbar für die Ablenkung und den Themenwechsel.
»Der Kram?« Anders senkte die Stimme, flüsterte fast.
»Genau, das Koks. Was Rambo da besorgt hatte, war spitze, aber wir brauchen mehr. Am Donnerstag ist ein Fest bei Cissi und dann am Samstag bei den Zwillingen. Und alle werden kaufen wollen.« Ulrik schaute sich abermals um, obwohl der Garten einwandfrei leer war. Nur die Musik aus der Küche war zu hören, aber Ulriks Schwester und ihre Freundin waren nicht mehr zu sehen.
»Na gut, du meinst also, wir müssen mehr besorgen.« Anders sah ruhig aus, selbstsicher. Als rede er davon, in die Apotheke zu gehen und Aspirin zu kaufen.
»Sprich mit Rambo. Oder besser noch, fahr hin. Du kannst mit Stefan fahren.«
Stefan und Anders wechselten einen Blick und nickten dann. Micke sah erleichtert aus. Alle wussten, dass er Rambo verabscheute und durchaus nicht zum Einkaufen nach Rågsved fahren wollte.
Plötzlich waren Schritte auf dem Kiesweg zu hören. Als Stefan aufblickte, sah er Ulriks Vater, der in marineblauen Adidas-Shorts und einem weißen T-Shirt angelaufen kam. Um die Stirn trug er ein dickes Frotteeband.
»Hallo, Jungs. Macht ihr es euch gemütlich?« Kjell Lundin lächelte und trat auf der Stelle, während er zugleich auf die Digitaluhr an seinem Arm schaute. »Ihr solltet lieber mit zum Joggen kommen. Bald ist der Stockholm-Marathon. Wollt ihr nicht mitmachen? Statt hier zu sitzen und Bier zu trinken und zu rauchen.« Er schaute irritiert den überquellenden Aschenbecher und Stefans Zigarettenpackung auf dem Boden an. Ulrik folgte seinem Blick und sah dann seinen Vater an.
»Niemand hat im Haus geraucht. Okay? Die Kippen bring ich nachher weg.«
Kjell nickte, als sei er mit der Erklärung seines Sohnes zufrieden.
»Ja, zehn Kilometer in einer Dreiviertelstunde. Was sagt ihr dazu, Jungs? Nicht schlecht für einen alten Knacker.«
Kjell lächelte zufrieden und schnaufte ein wenig.
»Das könntest du auch schaffen, Ulrik, wenn du dich so um deinen Körper kümmern würdest wie um deinen Intellekt. Den Körper sollte man genauso trainieren wie das Gehirn. Wenn du das tun würdest, statt hier zu sitzen und Bier zu trinken und zu rauchen, dann würdest du nicht aussehen wie eine Spargelstange.« Er beugte sich vor und drückte vielsagend Ulriks dünne Oberarme zusammen, musterte den Sohn mit einer leicht bedauernden Miene, als sei dessen Anblick eine pausenlose Enttäuschung.
»Und schneid dir die Haare, wenn du schon dabei bist, du siehst ja aus wie vom anderen Ufer.« Der Blick des Vaters war voll Ekel, und Stefan hatte seine eigenen Probleme plötzlich vergessen. In dem sonnigen Villengarten schien sich ein griechisches Drama abzuspielen. Die fröhliche Stimmung war verflogen, und Aggressivität und Zorn zwischen Vater und Sohn waren so greifbar, dass
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