Beweislast
Zuschauerreihe flüsterte ein Rentner, der sich so gut wie keine Schwurgerichtsverhandlung entgehen ließ, seinem Nebenmann zu: »Alles nur Theater. Einsperren solln se ihn – weg und fertig. Jetzt machen se wieder tagelang rum, obwohl doch jeder weiß, dass ders getan hat. Schaun Se ihn doch an. Der typische Mörder aus der feinen Gesellschaft.« Der Angesprochene hatte nicht alles verstanden, aber auch keine Lust, nachzufragen. Denn die Meinung seines Nebensitzers interessierte ihn nicht.
Das Wetter war besser geworden und die Piloten der Landespolizeidirektion hatten sich zu einem Suchflug entschieden, um dabei auch die Wärmebildkamera einzusetzen. Sie kannten das Tal noch von ihrem Einsatz im November. Sie kamen über den Hohenstaufen angeflogen, ließen den Rechberg links liegen und orientierten sich an der majestätischen Kirche von Ottenbach. Dann überquerten sie den schmalen Höhenzug des Rehgebirges, wo überall in der Landschaft verstreut einzelne Gehöfte lagen. Der Pilot ließ den Helikopter jetzt sinken, sodass sie in nur noch knapp dreißig Metern Höhe in den Talgrund hineinflogen. »Hier«, der Copilot auf dem linken Sitz deutete durch die Glaskuppel zum Erlenhof, »dort haben wir den blauen Fiesta entdeckt, erinnerst du dich?« Was er sagte, wurde über Mikrofon zum Kopfhörer seines Kollegen übertragen. Der nickte und legte den Hubschrauber in eine steile Linkskurve, um das Gehöft unter sich sehen zu können. »Und der Vermisste hat da drüben gewohnt«, sagte er, während er den Helikopter neu ausrichtete und in Richtung Eulengreuthof schweben ließ. Unter ihnen zog der neue Ferkelstall vorbei.
Quer über ein Wiesengrundstück streifte eine Suchkette der Bereitschaftspolizei. Die Beamten mussten möglichst jeden Quadratmeter des Geländes begehen. Wenn Eugen Blücher noch in diesem Tal war, tot oder lebend, dann würden sie ihn finden. Der Pilot meldete sich per Funk bei der Einsatzleitung und fragte, ob es neue Erkenntnisse und damit Sonderwünsche gebe.
»Bisher nichts Neues«, kam es zurück, worauf der Pilot entschied, das Tal – vom Eulengreuthof ausgehend – systematisch abzufliegen. Zwar war es aussichtslos, in dem kurzen Gras der Wiesen Spuren ausfindig zu machen. Dafür aber sorgte die fehlende Vegetation dafür, dass die Flieger jedes Gestrüpp und den bewaldeten Hang relativ gut einsehen konnten. Dennoch war es äußerst schwierig, eine dort liegende Person zu erkennen, vor allem, wenn sie eine Kleidung trug, die sich farblich nur wenig von der Umgebung abhob. Im vorliegenden Fall jedoch müsste die gesuchte Person einen blauen Arbeitsanzug angehabt haben. Und blau war nicht gerade eine Farbe der Natur. Der Copilot hatte das Fernglas vor die Augen gehoben, um insbesondere die Waldränder und Heckenstreifen zu prüfen.
»Mach mal langsamer«, bat er den Kollegen, der daraufhin den Helikopter in der Luft zum Stehen brachte.
»Gehts noch tiefer?«, fragte der Copilot, ohne das Fernglas abzusetzen, das er nach links unten gerichtet hatte.
Der Hubschrauber senkte sich und wurde von einer Böe erfasst, was zu einem kurzen, aber heftigen Schaukeln führte.
»Da liegt was«, stellte der Mann auf dem linken Sitz fest. Er hatte einen schmalen Heckenstreifen abseits des Steinberghofs ins Visier genommen. Der Pilot brachte den Helikopter auf doppelte Baumwipfelhöhe herab. Die Windhose des Propellers ergriff das Gehölz und zerrte heftig daran.
»Kannst du was erkennen?«
Sein Kollege konnte sich noch zu keiner Antwort durchringen, sondern versuchte, das Fernglas schärfer zu stellen.
57
Linkohr war dem Ruf des Chefermittlers gerne gefolgt. »Ich hab doch gewusst, dass an der Sache was stinkt«, kommentierte er Häberles kurze Erläuterungen in dessen Büro. Der junge Kriminalist hatte mit Speckinger am Besprechungstisch Platz genommen, während sich der Kommissar in seinem abgegriffenen Bürostuhl zurücklehnte.
»Es kann natürlich genauso gut alles ein zufälliges Zusammentreffen unglücklicher Umstände sein«, mahnte Häberle.
Speckinger winkte ab. »So langsam sind mir das zu viel unglückliche Umstände …«
Auch Linkohr schloss sich dieser Auffassung an: »Ein Mord, ein Brandanschlag, ein verschwundener Zeuge – und ein tödlicher Verkehrsunfall. Also, ich weiß nicht so recht, ob das alles Zufall ist.«
»Der Staatsanwalt sieht es vorläufig so«, erklärte Häberle, »aber wir sollten trotzdem dranbleiben, finde ich auch.« Er sah seine beiden Kollegen ernst
Weitere Kostenlose Bücher