BIANCA EXKLUSIV Band 0173
Während er sich anzog, überlegte er, dass es wohl das Klügste war, still und leise abzuhauen. Das ersparte ihm ein unangenehmes Gespräch mit Sherry.
Das Dumme war nur, dass er überhaupt keine Lust hatte, einfach in der Dunkelheit abzutauchen.
Er wollte bleiben.
Er wollte sie mit ihrem Kind sehen.
Was zum Teufel ist mit dir los? fragte er sich.
Das Weinen hatte aufgehört. Jetzt drang ein sanftes, zufriedenes Flüstern an sein Ohr.
Neugierig schlich Sin-Jin auf bloßen Zehenspitzen ins Zimmer nebenan.
Das Mondlicht schien durch die weißen Vorhänge hindurch ins Zimmer und tauchte es in ein sanftes Licht. Sherry saß halb im Schatten und halb im Licht in einem Schaukelstuhl neben der Wiege. Ihr Sohn lag in ihrem Arm. Ganz leicht schaukelte sie vor und zurück. Das Baby sog gierig an der Flasche, die sie hielt.
Sin-Jin blieb im Türrahmen stehen und beobachtete die beiden einen Augenblick lang. Insgeheim fragte er sich, warum der Anblick ihn so sehr anrührte.
Vielleicht war es die Liebe. Die Liebe zwischen der Mutter und ihrem Sohn, den sie in ihren Armen hielt.
Sherry spürte seine Gegenwart, bevor sie zu ihm hinüberschaute.
„Hallo“, grüßte sie leise. „Bitte entschuldige, falls wir dich geweckt haben.“
„Ich habe ihn weinen gehört“, erklärte Sin-Jin. Plötzlich fühlte er sich wie ein Eindringling. Was habe ich hier zu suchen, dachte er, halb nackt im Schlafzimmer eines Babys, das gerade gefüttert wird? Nichts. Unbehaglich trat er von einem Bein aufs andere. „Ich sollte mich verabschieden.“
Eigentlich wollte sie ihn bitten zu bleiben. Aber das wäre aufdringlich gewesen, und das sollte er auf keinen Fall von ihr denken. Trotzdem, sie wollte unbedingt, dass er bei ihr blieb. Und wenn es sich nur um Minuten handelte …
„Ich weiß.“
Als Sin-Jin sich wider Erwarten nicht von der Stelle rührte, hielt sie plötzlich inne und stoppte den Schaukelstuhl. „Willst du ihn einen bisschen füttern?“
Sin-Jin presste die Lippen aufeinander und wusste nicht, was er denken sollte. „Ich …“
Das ist kein Nein, schoss es Sherry durch den Kopf. Unwillkürlich stand sie auf und legte ihm das Baby in den Arm, bevor er protestieren konnte. „Es ist ganz leicht. Leg ihn in deine Armbeuge und halte ihn fest.“ Sie überprüfte, ob er es richtig machte. „Dann setz dich in den Schaukelstuhl und berühre seine Lippen mit dem Sauger. Den Rest macht Johnny selbst.“
Sin-Jin folgte ihren Anweisungen, und das Baby trank weiter. Trotzdem war es ihm unerklärlich, warum sich plötzlich ein warmes Gefühl in seinem Innern ausbreitete, nur weil er ein Baby im Arm hielt. Aber er wollte es sich auch gar nicht erklären. Es war mitten in der Nacht. Nicht gerade der ideale Zeitpunkt, um so komplizierten Fragen auf den Grund zu gehen.
Er hielt das Baby im Arm, schaukelte sanft hin und her und genoss jede Sekunde.
13. KAPITEL
Die Abendsonne schien durch das Panoramafenster im zwanzigsten Stockwerk des Firmengebäudes von Adair Industries und tauchte den Raum in ein sanftes Licht. Es erinnerte Sin-Jin daran, dass es schon spät war.
Sechzehn seiner besten Leute saßen mit ihm um den polierten Teakholztisch im Konferenzsaal herum. Links von ihm führte Mrs. Farley akribisch Protokoll über jedes Wort, das gesprochen wurde. Rechts neben ihm hatte Carver Jackson Platz genommen. In den vergangenen fünf Jahren hatte Sin-Jin ihn als seine rechte Hand betrachtet. Carver war direkt von der Harvard Business School zu ihm gekommen. Noch nie war Sin-Jin ein junger Mann über den Weg gelaufen, der heißer darauf brannte, sein Wissen in die Praxis umzusetzen.
Aber jetzt brannte er selbst, und zwar darauf, endlich verschwinden zu können. In der vergangenen Woche hatte er mehr als erwartet für Adair Industries erreicht. Das reichte fürs Erste. Sein Hunger war gestillt, und das war eine vollkommen neue Erfahrung für ihn.
Er stützte sich mit den Handflächen auf den Konferenztisch. „Geht nach Hause, Leute.“
Carver kniff die dünnen Augenbrauen über der Adlernase zusammen, schaute erschrocken auf die Uhr und wechselte mit Mrs. Farley einen bedeutsamen Blick.
Es war erst fünf. Das soll wohl ein Scherz sein, dachte Carver verunsichert. „Für ein Weihnachtsgeschenk ist es noch zu früh, Mr. Adair“, bemerkte er.
Sin-Jin grinste amüsiert. „Ich will Sie nicht auf die Probe stellen. Machen Sie sich darüber keine Sorgen, und befolgen Sie einfach meine Anweisung. Gehen Sie nach Hause.“
„Mr.
Weitere Kostenlose Bücher