Bibbeleskaes
dank dieser Strategie bald verabschieden konnte.
»Ich bin nur beim ersten Mal dabei gewesen«, erzählte er. »Anno 1967. Und an den Emile Murnier erinnere ich mich genau. Der hat nämlich der Martha schöne Augen gemacht.«
Ich verschluckte mich an meinem Bier.
»Die Martha hat es gar nicht gemerkt«, wiegelte er ab, »die hat nur Augen für mich gehabt, so verliebt sind wir damals gewesen. Aber ich hab genau gesehen, wie Murnier sie mit den Augen ausgezogen hat und wie er vor unserem Tisch gestolpert und wie zufällig auf sie draufgefallen ist. Aber das war extra, da bin ich mir ganz sicher. Entschuldigt hat er sich, wollt Martha auf einen Sekt einladen. So die Masche hat er abgezogen. Die Martha hat nur gelacht und gesagt, dass sie jetzt mit ihrem Mann tanzen will, und mich auf die Tanzfläche bugsiert. Ich bin ganz sicher, dass Murnier ihr damals nichts bedeutet hat. Aber jetzt ist er tot, und die Martha schlieÃt sich in ihrem Zimmer ein. Nur deshalb ist mir die alte Sache wieder eingefallen.«
Ich trank schnell einen Schluck Bier und konzentrierte mich auf die Flasche zwischen meinen Händen. Eltern sollten sich nicht bei ihren Kindern ausheulen, dachte ich egoistisch. Felix kam vom Rauchen zurück und blieb leider nicht bei uns stehen, sondern setzte sich wieder an den Katzentisch.
»Ich bin nie mehr mit nach Scherwiller, ich bin halt einer, der sich in den eigenen vier Wänden am wohlsten fühlt«, erzählte Edgar weiter. »Am Anfang hat Martha mich zum Mitfahren überreden wollen, aber in den letzten Jahren warâs ihr sehr recht, dass ich daheimgeblieben bin. Versteh mich nicht falsch, Kind, das ist in Ordnung. Wenn man so eng aufeinandergluckt wie die Mama und ich, da tut es gut, wenn der eine mal was ohne den anderen macht. Aber jetzt denk ich halt, ob der Murnier es noch mal versucht hat? Ob die Martha schwach geworden ist?«
Martha und Murnier? Ich verschluckte mich erneut und schüttelte danach ungläubig den Kopf.
»Ist dir was aufgefallen? Hast du die zwei zusammen gesehen?«, machte mein Vater weiter und klopfte besorgt meinen Rücken. Ich schüttelte weiter den Kopf. »Aber das ist doch kein Zustand, dass sie sich einsperrt! Kannst du nicht mal mit ihr reden? Von Frau zu Frau?«
Nur damit das klar ist: Ich mag meinen Vater! Ihn so unglücklich und verzweifelt zu sehen, tat mir weh. Dennoch gab es Dinge, die ich nicht für ihn tun wollte.
»Papa!«, wand ich mich. »Du weiÃt genau, wie Problemgespräche zwischen der Mama und mir laufen. Dabei ist noch nie was Vernünftiges rausgekommen.«
Natürlich wusste er das. Bei mehr als einem Konflikt zwischen Martha und mir war nämlich er zwischen die Fronten geraten. Familien sind komplizierte Gebilde. Ãberkreuz vernetzt und verkabelt, Fallstricke rechts und links, Stolpersteine und verstecktes Dynamit, so funktionieren Familienbande. Kann man sich daraus jemals lösen? Kann man damit aufhören, immer in dieselbe Sackgasse zu rennen, kleine Bömbchen zu zünden oder stets aufs Neue Salz in alte Wunden zu streuen?
Mir zumindest war es bisher nicht gelungen. Anstatt bei meinem Vorsatz der Nichteinmischung zu bleiben, überlegte ich schon, wie ich das Gespräch mit Martha beginnen könnte, ohne dass es wie üblich sofort aus dem Ruder lief. Da fiel mir Gerti Ketterer ein. Marthas beste Freundin, die Mutter von Felix. Dass ich nicht früher darauf gekommen war! Ein AuÃenstehender ist in so einem Fall immer besser als ein Familienmitglied.
»Ach, das weiÃt du gar nicht?«, fragte Edgar erstaunt. »Die Gerti ist vor zwei Monaten gestorben. Hatâs ja schon lang mit dem Herzen gehabt, und dann ist es plötzlich ganz schnell gegangen. War ein harter Schlag für Martha und für ihn.« Er deutete auf den einsamen Felix am Katzentisch. »Mutter und Sohn haben sehr aneinander gehangen. Der Felix hat sie daheim gepflegt die letzten Wochen. Aufopfernd, sagen alle. Ist ein armer Kerle! Die Mutter stirbt, die Frau hat ehrgeizige politische Pläne, und der Betrieb läuft schlecht.«
»Wieso ist es schlecht für einen Mann, wenn seine Frau ehrgeizig ist?«, hakte ich nach, froh darüber, dass das Gespräch von Martha wegführte.
»Was heiÃt schlecht«, ruderte Edgar zurück. »Sie hat halt keine Zeit für ihn. Jetzt, in der Schlussphase vom Wahlkampf. Heut hockt der Felix schon wieder zwei
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