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Bibel der Toten

Bibel der Toten

Titel: Bibel der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Knox
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lächelte, aber ihr Lächeln war zerbrechlich.
    »Als Studentin war ich mal einen Sommer lang in den Rockys. Irgendwann gewöhnt man sich an die Höhe. Einigermaßen.«
    Jake trug seine und Julias Tasche und kam mächtig ins Schnaufen. Aber sie durften jetzt nicht schlappmachen, sie mussten Chemda finden. Vielleicht lag sie bereits in diesem Moment unter dem Messer und wurde mental amputiert, unwiederbringlich verstümmelt.
    Vielleicht war es sogar schon zu spät.
    Am Ausgang des Terminals empfing sie schneidend klare Luft. Der Parkplatz war voller tibetischer Familien mit breitkrempigen Pelzhüten und kirschrosigen Wangen, die Augen gegen das blendende Licht der kalten, harten Sonne zu schmalen Schlitzen zusammengekniffen. Jake musste an die Hochlandhelligkeit in der Ebene der Tonkrüge denken, an den Kontrast zwischen großer meereshöhe und subtropischen Breitengraden. Hier war dieser Gegensatz noch krasser. Der Himmel war von einem jungfräulich klaren strahlenden Heilige-Lucia-Blau.
    Er sah seine Mutter auf ein buntes Kirchenfenster starren. Das Bild war zu schmerzhaft.
    Ein Chinese mit knallroten Turnschuhen und jeder Menge Goldzähne kam auf sie zu.
    »Taxi?«
    »Wir brauchen ein Hotel.«
    »Sie gehen Hotel, hui!«
    »Wir müssen hierhin.« Jake gab es auf, sich verbal zu verständigen, und zeigte dem Mann den Zettel, auf dem auf Mandarin und Englisch Balagezong stand.
    Der Taxifahrer runzelte die Stirn.
    »Aber viel schwer. Führer. Taxi nehmen Zhongdian. Hotel. Vielleicht Führer helfen. Schwer.«
    Bis auf ein paar Taxis und landwirtschaftliche Fahrzeuge war die Autobahn vom Flughafen nach Zhongdian so gut wie leer. Ein Konvoi aus mehreren windschnittigen schwarzen Mercedes-Limousinen mit dunkel getönten Scheiben wich elegant einem Yak aus, der plötzlich auf der mittleren Fahrspur erschien.
    »Regierung«, sagte ihr Fahrer. Dann öffnete er das Fenster und spuckte. Vor ihnen tauchte die schmuddelige Stadt Zhongdian auf. Dahinter erhoben sich die schneebedeckten Baimang-Berge, die in der klaren, kalten Luft unwirklich deutlich zu sehen waren, eine feierliche Versammlung ernster Patriarchen mit spitzen weißen Kapuzen. Ein Inquisitionstribunal.
    Die Fahrt dauerte nicht lange.
    Sie erreichten die betonstarrenden Außenbezirke von Neu-Zhongdian, starre geometrische Gevierte aus chinesischen Banken und staubigen Behördenbauten und dazwischen Militär-Lkws und ungebändigte, von kaputten Betonbrücken überspannte Flüsse. Die Stadt hatte etwas vom Charakter eines letzten Vorpostens der Zivilisation, ungezähmt, gesetzlos, voll von Männern mit dunklen Gangsterstyle-Sonnenbrillen und tibetischen Frauen mit roten und violetten Kopftüchern, die auf dem Weg zum Many-Wonder-Supermarkt über Schlaglöcher stiegen. Lautsprecher beschallten ganze Straßenzüge mit dem ohrenbetäubenden Gejaule kantonesischer Popmusik. Die Gehsteige waren von Yakscheiße und Nudelverpackungen übersät.
    Um möglichst wenig Aufmerksamkeit zu erregen, checkten sie umgehend im größten Hotel der Stadt ein. Es protzte mit einem Lichthof mit einem künstlichen See und künstlichen Betonstörchen auf künstlichen Inseln.
    Niemand konnte ihnen etwas über Balagezong sagen. Es war, als gäbe es den Ort gar nicht; jedenfalls nicht wie einen realen Ort. Während Jake Informationen über ihr Reiseziel zu bekommen versuchte, packte Julia zwei kleine Reisetaschen für sie. Jake kehrte unverrichteter Dinge zurück. Es gab niemanden, der Englisch sprach; einige Hotelangestellte sprachen nicht einmal Chinesisch, nur irgendwelche tibetischen Dialekte. Aber als Jake und Julia das Hotel mit ihren Taschen gerade verlassen wollten, tauchte lautlos lächelnd ein geschäftiger kleiner Chinese neben ihnen auf und erklärte nach einem kurzen Blick auf den inzwischen stark zerknitterten Zettel in unerwartet gutem Englisch:
    »Ich bin Geschäftsführer von Hotel, es ist unsere Freude, Bekanntschaft zu machen. Ich höre, Sie wollen sehen Balagezong.«
    »Ja. So schnell wie möglich.«
    »Aber das ist sehr, sehr schwer zu erreichen. Warum wollen Sie nicht zu Bitahai-See? Jadedrachen-Schneegebirge? Sind jetzt gerade Schwarzhalskranich da, ist Saison.«
    »Wir wollen aber nach Balagezong.«
    »Aber, aber das ist zu schwierig.« Sein Lächeln war strahlend und entschlossen. »Sie brauchen Führer und großes, großes Glück mit Wetter. Ich weiß nicht, ob möglich. Es ist sehr weit, es ist hinter Himmelsdörfer. Besuchen Sie lieber Rhododendron oder Tagesausflug

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