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Bibel der Toten

Bibel der Toten

Titel: Bibel der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Knox
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nach Dali! Tibet-Tänze.«
    »Wir wollen nach Balagezong fahren.
    « Der Geschäftsführer des Hotels seufzte. Er schüttelte den Kopf und runzelte kaum merklich die Stirn.
    »Gut, dann helfe ich.« Er schnippte mit den Fingern nach einem Pagen. »Gehen Sie zu Lijiang-Teehaus, mit dem Taxi von hier zu altem Stadtplatz. Fragen Sie nach jungem Mann, Tashi. Xie Xie. Mein Junge hilft Ihnen.« Sein Lächeln verflog, ohne dass irgendetwas davon übrig blieb. Dann verschwand auch der mann selbst.
    Die Sonne im Freien war hell, so grell, dass es wehtat, die Augen zu öffnen; bloß zu schauen war schon schmerzhaft. Jake setzte seine Sonnenbrille auf. Julia ebenfalls. Aber es war alles schmerzhaft, nicht nur die Sonne. Gehen war schmerzhaft. Das Blut in Jakes Adern pochte; er schnaufte schwer. Er fand, Julia sah nicht gut aus. Sollte er zulassen, dass sie diese Risiken einging? Hatte er das Recht, sie aufzuhalten?
    »Los«, sagte er, als der Page ein Taxi heranwinkte. »Jede Minute ist kostbar. Jede.«
    Jake wusste nicht, ob er sich jemals an die Höhenluft gewöhnen würde. Es war, als würden sein Hirn, sein Herz, seine Muskeln, alles, immer stärker zusammengeschnürt, langsam, aber unaufhaltsam, als würde er irgendeiner perfiden mittelalterlichen Folter unterzogen, mit Daumenschrauben und Fußschäkeln. Doch dann musste er an Chemda denken, die vielleicht schon auf einem Operationstisch lag und den Kopf aufgeschnitten bekam, und er stürmte entschlossen auf das Taxi zu.
    Die Altstadt von Zhongdian war ein Labyrinth aus halbverfallenen Häusern und Yi-Läden sowie laut krächzenden knallroten Papageien vor tangzeitlichen Pavillons und belebten gepflasterten Plätzen, auf denen Naxi-Frauen über offenen Kohlebecken Yakfleisch-Spieße grillten. Die grelle Sonne machte selbst dunkelste Schatten noch dunkler – und hier, in den dunklen Winkeln hinter dem Lijiang-Teehaus, fanden sie Tashi. Er war ein junger Tibeter in einer derben Lederjacke und Jeans, mit passablen Manieren und strahlend weißen Zähnen.
    »Es wird schwer, anstrengend, zwei Tage, ungefähr, aber ich habe Auto. Viel, viel Gefahr, zweihundert Dollar. Wir fahren jetzt?«
    Jake und Julia tauschten einen Blick. Jake holte ein paar mehr Scheine heraus. Vierhundert Dollar.
    »Bringen Sie uns hin. Schnell. Und lebendig.«
    Tashi grinste breit.
    »Wir fahren jetzt.«
    Ein eiliger Fußmarsch führte sie auf einer Kopfsteinpflasterstra-ße am Hauptquartier der Kommunistischen Partei Chinas vorbei. Die große rote Fahne flatterte halbherzig im Wind. Jake betrachtete das Gebäude. In ein altes buddhistisches Eingangsportal waren Swastiken geritzt. Sonnensymbole.
    Das Auto war schlammbespritzt und robust: ein alter japanischer Pick-up. Sie stiegen ein und rumpelten durch die Außenbezirke von Zhongdian.
    »Wie lang brauchen wir bis nach Balagezong?«, fragte Jake.
    »Zehn Stunden. Vielleicht mehr. Wir schlafen in Haus. Auf dem Weg.«
    Die Unermesslichkeit des tibetischen Hochlands umfing das Auto. Sie kamen an Herden wiederkäuender Yaks und träger Dzos vorbei, einer Kreuzung aus Yaks und Hausrindern. Auf dem Hof eines neuen, aus nicht abgelagertem Holz gebauten Naxi-Bauernhauses hielten Dorfbewohner mit violetten und roten Kopftüchern unter einer chinesischen Flagge eine Versammlung ab. Schwarzhalskraniche spiegelten sich in glitzernden Bergseen: Vogelschwärme voll wehmütiger zerbrechlicher Schönheit, die der Kälte Sibiriens entflohen waren, um hier zu überwintern.
    Tashi ließ sich während der Fahrt lachend darüber aus, was er von den Chinesen hielt.
    »Manchmal, früher, war ich wütend auf Chinesen, über das, was sie Tibeter antun. Deshalb sage ich jetzt, fick Chinesen. Und das ist, was ich mache. Ich ficke Chinesen, ich ficke Chinesenmädchen in Disco.« Er lachte. »Warum wollen Sie nach Balagezong? Sie haben Ärger? Niemand will dorthin, nicht Touristen, nicht Chinesen, nicht Tibeter.«
    Jake blieb stumm.
    Tashi zuckte mit den Achseln und fügte lachend hinzu: »Mir egal. Kein Problem. Ich helfe. Polizei verhaftet mich oft, wegen Trinken, Prügeln!«
    Als sie durch ein armseliges Dorf kamen, stürmten Kinder in Schaffelljacken und Lederröcken aus den Häusern, um das Auto zu bestaunen. Dann ließen sie alle menschlichen Behausungen hinter sich und fuhren immer weiter in die Berge hinauf, wo Schmelzwassersturzbäche von den steilen braunen Hängen rauschten. Das Durcheinander der Jahreszeiten war verwirrend: Frühling, Winter und Sommer gleichzeitig. Die

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