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Bibel der Toten

Bibel der Toten

Titel: Bibel der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Knox
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während Chemda sich sofort in ihr Zimmer zurückzog.
    Als er schließlich allein war, ließ Jake sich, ohne zu duschen, auf sein Bett plumpsen und schlief sofort ein – als hätte er hundert Jahre kein Bett mehr gesehen. Er schlief so fest, dass er zunächst nicht einmal träumte. Doch irgendwann regte sich im Dunkel seines Unterbewusstseins etwas, und er wachte mit einem vagen, nicht greifbaren Anflug von Panik auf.
    Eine Weile lag er nur da und versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Er hatte keine Ahnung, wie spät es war. Früh am Morgen vielleicht. Durch die Lamellen der Jalousie kroch schwaches bläuliches Licht in das Dunkel des Zimmers.
    Dann stutzte er. Und schaute. Angespannt.
    Irgendetwas hing an der Tür. Drei meter von ihm entfernt.
    Er wünschte, er träumte nur; aber er war wach. Hellwach.
    Es war so grauenhaft, so teuflisch, dass er zuerst dachte, er bildete sich alles nur ein.
    Aber dann packte ihn blankes Entsetzen.
    Bitte nicht.

10
    E s dauerte eine Stunde, bis die französische Polizei in Annikas Häuschen eintraf. Der elegante Peugeot bog mit einem energischen Knirschen in die gekieste Einfahrt; seine roten und blauen Lichter blitzten exotisch durch das regnerische Dunkel der einsamen Cham.
    Capitaine Rouvier war Mitte fünfzig und hatte grau meliertes Haar. Er bat Annika mitzukommen, um den Toten zu identifizieren, und Julia bot ihrer Freundin sofort an, sie auf diesem schweren Gang zu begleiten – obwohl Annika so gefasst wirkte, dass Julia sich unwillkürlich fragte, ob sie überhaupt Hilfe benötigte.
    Die blitzenden blauen und roten Lichter des Polizeiautos fielen kurz auf Annikas ausdrucksloses Gesicht, als sie hinten einstieg und sich, steif nach vorn blickend, auf den Rücksitz setzte. Nachdem Julia neben ihr Platz genommen hatte, startete der Fahrer den Wagen. Anfangs fuhren sie durch verlassenes Heideland und dann auf den Causse hinauf, in Richtung Mende.
    Ghislain Quoinelles hatte in einer großen, abgelegenen Villa bei Marvejols gelebt, aber seine Leiche war bereits abtransportiert worden.
    Annika wechselte mit dem Gendarmen ein paar Worte auf Französisch. Er begegnete ihr mit dem angemessenen Ernst und bat seinen jungen Fahrer, sie ins Leichenschauhaus des Krankenhauses von Mende zu bringen. Nach ein paar Minuten betretenen Schweigens steuerte Julia einen zögernden Beitrag zu der Unterhaltung bei.
    Der Gendarm auf dem Beifahrersitz drehte sich zu Julia um und lächelte sie kurz an. Dann sagte er, seine Worte untermalt vom melancholischen Klopfen der Scheibenwischer, in perfektem und sehr distinguiertem Englisch: »Sie sind aus Quebec, Mademoiselle?«
    Julia stöhnte innerlich auf. Und antwortete auf Englisch: »Ich spreche wie ein Bauerntrampel aus Chicoutimi, nicht?«
    »Aber nicht doch. Ihr Französisch ist …«, das Lächeln geriet nicht ins Wanken, »ganz vorzüglich. Aber ich spreche sehr gut Englisch. Deshalb erübrigt sich das.«
    Julia setzte sich wieder zurück und schwieg. Sie versuchte, nicht beleidigt zu sein, nicht an sich zu denken. Hier ging es um Annikas schrecklichen Verlust, um Annikas Trauer. Aber das war das Problem, wenn man ein Einzelkind war. Die selbstbezogene Reaktion war vorprogrammiert und erfolgte ganz automatisch, aber Julia war ständig auf der Hut davor.
    Sie starrte auf die metronomisch von der Windschutzscheibe gewischten Regentropfen und das Aufleuchten der Scheinwerfer entgegenkommender Autos. Es waren nur fünfzig Kilometer bis Mende, aber bei diesem Wetter brauchten sie auf der schmalen und kurvenreichen Landstraße mindestens eine Stunde.
    Eine Erinnerung kehrte zurück, verhalten wie ein schüchtern an eine Tür klopfendes Kind, eine Erinnerung an ihre Kindheit: Sie fuhr mit ihren Eltern durch den Regen, den Schnee und den Regen des östlichen Michigan, und beobachtete fasziniert, mit welcher Unerbittlichkeit die Schneeflocken, die sich auf dem Autofenster niederließen, von den Scheibenwischern beiseitegeschoben und zerquetscht wurden. Mit dieser Erinnerung einher ging ein Gefühl der Geborgenheit, begleitet von einer gewissen Wehmut. Das Einzelkind, das allein auf dem viel zu großen Rücksitz des SUV seiner Eltern saß; eigentlich hätten alle Sitze des geräumigen Familienfahrzeugs besetzt sein sollen, aber sie hatte keinen Bruder, mit dem sie streiten, keine Schwester, mit der sie spielen konnte. Deshalb saß sie ganz allein, aufrecht und wichtig, auf dem leeren Rücksitz und unterhielt sich, wie immer im Mittelpunkt stehend, mit den

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