Biest: Thriller (German Edition)
Sekunde später barst das einfache Haustürschloss und gab den Weg frei. Die schwarz gekleideten Männer verteilten sich effizient und schnell, die Mündungen ihrer Maschinenpistolen streiften jeden Raum der kleinen Wohnung, die geschulten Augen suchten nach Bewegungen. Menschlichen Bewegungen. »Raum eins gesichert«, hörte Solveigh. Die Küche. »Raum zwei gesichert.« Das Wohnzimmer. Solveigh und Reimers standen vor der Tür zum dritten Zimmer, in dem sie ihr Ziel von Anfang an vermutet hatten. Das Zimmer, das wahrscheinlich eine Fluchttür zur Wohnung darunter besaß. Sie hielt die Maschinenpistole nach oben. Keine Feuerbereitschaft. Dann blickte Reimers sie fragend an. Sie nickte. Er rammte die Tür mit der Schulter ein und senkte seine Waffe in derselben Bewegung. Solveigh folgte, und was sie sah, ließ ihr den Atem stocken.
Reimers schrie: »Hände hinter den Kopf! Und dann ganz langsam hinlegen.« Die Bilder fanden wie in Zeitlupe den Weg in Solveighs Gehirn, das versuchte, sich einen Reim darauf zu machen. Das Adrenalin. Er lag doch schon. Reimers meinte den zweiten Mann, der in der Ecke des Raumes stand und ein Handy in der Hand hielt.
»Waffe fallen lassen!«, schrie Reimers. Solveighs Waffe zeigte auf den Mann am Boden. Sekundärziel. Sichern. Vermutung bestätigen. Sie lief über den ausgetretenen Teppichboden über rote Pfützen aus Blut. Ein Mann in einer dunklen Jacke, dunkle Hose. Zivilist. Vermeintlich. Er lag auf dem Rücken. Die Maschinenpistole im Anschlag, versuchte sie, seinen Kopf mit dem Fuß umzudrehen. Was viel zu leicht gelang. Ein großer Schwall Blut ergoss sich aus seiner bis auf die Halswirbelsäule aufgeschlitzten Kehle auf den Teppich. Die Knochen leuchteten weiß im Meer aus Blut. Jemand hatte ihm eine Stange Lauch tief in den Rachen geschoben. Was hatte das zu bedeuten? Was hatte der Mann hier gewollt? Solveigh beschlich ein ungutes Gefühl. Keine Zeit.
»Sekundärziel tot«, sagte Solveigh im Tonfall eines Nachrichtensprechers. Seltsamerweise schienen ihre Worte nicht der gleichen Zeitmessung zu unterliegen wie die Bilder, die auf sie einströmten. Sie hob die Waffe und zielte auch auf den Mann in der Ecke. Älter. Alt. Ein grauhaariges Männchen in einem guten Anzug. Feine Gesichtszüge unter den Falten. Sie hatten Thomas Eisler gefunden.
»Fallen lassen!«, schrie Reimers erneut, weitere Männer stürmten hinter Solveigh in den Raum.
»Raum eins gesichert«, begann im Sprechfunk die Aktion einen Stock tiefer.
»Wenn ich das tue, gehen wir alle drauf«, sagte der ehemalige Stasioffizier viel ruhiger als man hätte erwarten sollen.
»Raum zwei gesichert.«
Die analoge Anzeige am Flughafen schob sich in Solveighs Blickfeld wie damals in Prag, als Thanatos zum Gürtel gegriffen hatte. Was hatte der Alte in petto? Eine Waffe? Gehen wir alle drauf? Eine Handgranate? Die Möglichkeiten ratterten über das Schwarze Brett.
»Scharfe Zündvorrichtung in Raum neun. Wiederhole, scharfe Zündvorrichtung in Raum neun«, quäkte es aus dem Sprechfunk. Die Etage drunter. Der Albtraum. Eine Bombe. Sie saßen auf einer Bombe. Auf einmal erkannte Solveigh die Zusammenhänge glasklar: Der Anschlag hätte Eisler eliminieren sollen. Sein Auftraggeber räumte auf, um die Spuren zu sich selbst zu verwischen. Erst Dimitrijs Geschäftspartner in Moskau, dessen Familie von einem Unbekannten regelrecht abgeschlachtet worden war, wie sie mittlerweile herausgefunden hatten, jetzt die Spur nach Europa. Der alte Mann lächelte. Reimers richtete langsam den Lauf seiner Waffe nach oben. Solveigh zögerte, aber folgte seinem Beispiel wenige Sekunden später.
»Okay, ganz ruhig«, verlangte Reimers.
»Wissen Sie, ich bin ganz ruhig. Und wissen Sie, warum? Weil ich alt bin und Sie nicht. Und weil ich etwas geschafft habe, das ich mir nach der unsäglichen feindlichen Übernahme durch den Klassenfeind nicht mehr hätte träumen lassen.«
»Ich bitte Sie, lassen Sie uns reden«, sagte Reimers ruhig, aber Solveigh erkannte in diesem Moment, dass es zu spät war. Sie wusste, sie würde sterben.
»In tiefer Verbundenheit zu meiner Heimat«, sagte der alte Mann und drückte eine Taste auf dem Handy in seiner Hand.
KAPITEL 59
Amsterdam, Niederlande
08. Februar 2013, 16.51 Uhr (zur gleichen Zeit)
»Will, die Franzosen evakuieren die Gemeinden rund um Agen und Montauban. Offenbar gab es eine weitere Explosion, die Meldungen sind ein heilloses Durcheinander. Irgendwer hat wohl entschieden, dass die
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