Big Bad City
seinen Händen steckte, seit er ein kleiner Junge war.
»Niemand wird dich schuldig sprechen«, sagte Carella laut und gleichzeitig in der Zeichensprache, obwohl er wußte, daß es sich nicht um ein beschissenes kleines Vergehen handelte. Für diese Sache konnte Teddy schlimmstenfalls zu einer Haftstrafe von einem Jahr verurteilt werden. Der Unfall, der zu der Anklage wegen Körperverletzung geführt hatte, hatte sich vor so langer Zeit ereignet, daß sie beide sich nicht mehr an das genaue Datum erinnern konnten, aber da Gottes Mühlen und die der Justiz langsam mahlten, kam es erst morgen zu dem Prozeß.
»Wer ist der Richter?« fragte Lowell.
»Ein gewisser Franklin Roosevelt Pierson, kennst du ihn?«
»Ja. Er ist fair und ehrlich. Worum geht es überhaupt?«
Teddy wollte es ihm in der Zeichensprache erklären, und Carella begann gleichzeitig zu sprechen. Da Lowell die Zeichensprache überhaupt nicht beherrschte, gab sie der Zweckmäßigkeit halber nach.
Es ging darum, daß eine Frau ihren roten Buick Kombi genau in den Kühlergrill von Teddys kleinem roten Geo zurückgesetzt hatte. Der Bezirksstaatsanwalt behauptete nun, daß Teddy erstens den Unfall verursacht und zweitens die Frau getreten und drittens den Umstand ausgenutzt hatte, daß ihr Mann Detective war, um den Polizisten einzuschüchtern, der den Unfall aufgenommen hatte. Davon traf lediglich zu, daß Teddy die Frau tatsächlich getreten hatte, aber erst, nachdem sie Teddy an den Schultern gepackt und geschüttelt hatte, wie manche Kindermädchen es mit kleinen Kindern tun.
April hatte das alles schon gehört, und so wandte sie sich ihrer Tante zu und fragte sie, ob sie schon mal diesen neuen Nagellack ausprobiert habe, der in anderthalb Minuten trocknete. Wäre das eine Sitcom, hätte Mark ihr gesagt, sie sei zu jung, um Nagellack zu benutzen, und April hätte ihm gesagt, er solle ja die Klappe halten, oder es würde was setzen. Aber das hier war das wirkliche Leben in Omas Garten, und Teddy hatte ihrer Tochter zur Feier des Tages erlaubt, Lippenstift aufzulegen, und Mark sagte: »Ja, der ist cool, Sis, hab ich im Fernsehen gesehen.«
Carella wußte, daß es morgen für Teddy nicht unbedingt gut ausgehen mußte, denn die Klägerin war schwarz, und der Richter ebenfalls, und niemand in dieser Stadt sah es gern, daß ein Farbiger von einem weißen Polizisten herumgestoßen wurde, oder auch nur von der Frau eines weißen Polizisten. Teddy gegenüber erwähnte er kein Wort davon. Er würde morgen bei dem Prozeß sein, tote Nonne hin oder her. Selbst bei der Arbeit eines Polizisten gab es Prioritäten.
»Wer vertritt dich?« fragte Lowell.
Eigennamen ließen sich in der Zeichensprache am schwersten ausdrücken. Besonders, wenn das Gegenüber nicht von den Fingern lesen konnte. Teddy wandte sich hilflos an Carella.
»Jerry Flanagan«, sagte er.
»Guter Anwalt«, sagte Lowell.
Im Gegensatz zu dir, dachte Carella.
Vielleicht wurde man einfach nur stinksauer, wenn man dem Staatsanwalt gegenübersaß, der bei einer hieb- und stichfesten Beweiskette bei der Mordwaffe den Täter hatte davonkommen lassen, der den Fall dermaßen vermasselt hatte, daß der Mörder den Gerichtssaal als freier Mann verlassen konnte, der Mann, der Carellas Vater getötet hatte. Ach, was soll’s, wen kümmert das schon, verdammt noch mal?
Vielleicht hatte es aber auch etwas damit zu tun, daß er auf die Vierzig zuging.
Oder es hatte vielleicht etwas mit Schuld zu tun.
Carella hatte das Arschloch nämlich verhaftet. Carella hätte dem Mann das Gehirn wegschießen können, in einer einsamen Gasse, nur mit einem anderen Polizisten als Zeugen, der ihn gedrängt hatte, einfach abzudrücken, mach doch, tu’s ruhig, mach es, aber er hatte es nicht getan, er hatte den Mann, der seinen Vater ermordet hatte, nicht erschossen, weil er irgendwo tief in sich fühlte, daß es keine Rolle spielte, ob man aus irgendeinem Grund zu einem Raubtier wurde oder von Anfang an solch ein Tier gewesen war.
Und nun die Schuld.
Wenn es um Schuld ging, kamen Italiener nur Juden gleich. Er hatte sich jedoch nie für einen Italiener gehalten, denn er war hier in diesem Land geboren, und ein Italiener war jemand, der in Rom wohnte, oder lag er da falsch? Er hielt sich auch nicht für einen Amerikaner italienischer Abstammung, denn das war jemand, der aus Italien in dieses Land gekommen war, oder? Ein Einwanderer? Wie zum Beispiel sein Großvater, den er nicht mehr kennengelernt hatte, da er
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