Big Bad City
es hinab und kletterte fast im selben Moment schon hinauf. Die Fenster im ersten und zweiten Stock waren verschlossen. Er ging rasch an ihnen vorbei und zum dritten Stock hinauf. Der Tenor griff nach einer hohen Note. Sie hing flüssig und rein in der Sommerluft und wurde dann mit ersterbender Anmut tiefer.
Er ging vor dem Fenster in die Hocke und lauschte angestrengt.
In der Wohnung war alles ruhig.
Er versuchte sanft, das Fenster zu öffnen. Wie ein erfahrener Handwerker wußte er, daß das besser war, als es mit Gewalt zu versuchen. Er versuchte es zuerst immer mit Gefühl, hoffte, es mit einer sachten Berührung öffnen zu können. Manchmal hatte er Glück. Das Fenster glitt unter seinen Händen auf, aber ein nicht verriegeltes Fenster konnte bedeuten, daß die Wohnung dahinter vielleicht nicht leer war. Er wartete, lauschte. Er hatte irgendwo mal gelesen, daß Profi-Einbrecher immer durch eine Tür reingingen. Sie schalteten die Alarmanlage aus, knackten das Schloß und gingen durch die Tür rein. Einbrecher, die durchs Fenster gingen, waren meistens Junkies, Beschaffungskriminelle. Er war kein Junkie, aber ganz bestimmt ein Einbrecher. Genau genommen war er ein professioneller Einbrecher, der in diesem Augenblick durch ein Fenster einstieg. Beam mich runter, Scotty, dachte er, zwängte sich durch die Öffnung und ließ sich leise auf den Boden gleiten.
Er war in einem Eßzimmer.
In der Wohnung war es ziemlich dunkel, keine einzige Lampe war eingeschaltet, kein einziger Sonnenstrahl drang zu dieser Tageszeit durch die nach Osten liegenden Fenster. Still wie ein Grab. Genau, was man um halb vier nachmittags erwarten konnte. Die Mieter waren auf der Arbeit oder beim Einkaufen, er hatte die Wohnung für sich allein. Er lauschte weiter. Jede Minute, die er drin war, lauschte er. Man konnte nie wissen, wann jemand unerwartet nach Hause kommen würde. Er hörte, daß sich ein Fahrstuhl den Schacht hinaufbewegte. Hörte, daß irgendwo in einer Wohnung auf dieser Etage das Telefon klingelte. Daß die ferne Stimme eines Anrufbeantworters antwortete. Er lauschte. Schließlich nahm er ein Tuch aus Ziegenleder aus dem kleinen Koffer, drehte sich zum Fenster um und wischte die Fensterbank und den Fensterrahmen innen und außen ab.
Er fing nie in einem Eßzimmer an, weil er sich mit teurem Porzellan nicht auskannte und Tafelsilber zu schwer war, um es zu tragen, und sich auch nur schwer versetzen ließ. Er stahl auch niemals Fernsehgeräte, denn er würde sich ganz bestimmt einen Bruch heben, wenn er so ein schweres Ding aus dem Haus schleppte. Er wartete noch einen Augenblick und ging dann, den Koffer noch immer in der Hand, zu einer geschlossenen Tür am Ende des Zimmers. Noch immer bewegte er sich vorsichtig. Drehte den Türknopf langsam und sanft, schob die Tür auf und trat in einen langen Flur, der sich rechts und links von der geöffneten Tür erstreckte.
An der Wand links hingen gerahmte Fotos. Am Ende des Gangs befand sich eine geschlossene Tür. Rechts führte eine offene Tür in die Küche. Manche Leute versteckten ihren Schmuck in Eiswürfeltabletts, und er überlegte, ob er mit dem Eisfach des Kühlschranks anfangen sollte. Lauschte erneut. Entweder nebenan oder über ihm drehte jemand einen Wasserhahn auf. Und wieder zu. Erneut Stille, abgesehen von dem, was er seit langem als Zimmergeräusche in der näheren Umgebung zu identifizieren gelernt hatte.
Er entschloß sich, es zuerst im Schlafzimmer zu versuchen, das er hinter der geschlossenen Tür am Ende des Flurs vermutete. Normalerweise zog man im Schlafzimmer das große Los. Dort bewahrte der Herr des Hauses seine Uhren und Manschettenknöpfe auf und die Dame ihre Armbänder, Halsketten und Ringe. Und in Kommodenschubladen und sogar alten Schuhkartons konnte man auch Bargeld finden. Reiche Leute brachten ihre Wertsachen zur Bank und deponierten sie dort in Schließfächern. Schlafzimmer waren die Tresore der unteren Mittelklasse und der Armen.
Die Fotos an der Wand waren Familienbilder, die meisten davon schwarzweiß, die neueren in Farbe. Eine blonde Frau und - offensichtlich - ihr Ehemann waren die gerahmten Stars von Hochzeiten und Abschlußfeiern und Geburtstagsparties und Picknicks und anderen Feiern in den eigenen vier Wänden oder unter freiem Himmel, deren Anlaß Cookie Boy nicht einmal vermuten konnte. Als er leise an den lächelnden Gesichtern links und rechts von ihm vorbeiging, wußte er, daß er durch die Geschichte eines Lebens
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