Big Sky Country - Das weite Land (German Edition)
hielt inne und schaute sich über eine perfekte, fast nackte Schulter zu ihm um. „Ja?“
Er war heute schon nahe dran gewesen, sich dafür zu entschuldigen, was in der Küche seines Ranchhauses geschehen war. Doch als er sie jetzt vor sich stehen sah … in der Abendsonne, die durch ihr Kleid schimmerte und deren Strahlen auf ihrem seidigen dunklen Haar tanzten … wusste er, dass er es nicht konnte. Er konnte nicht sagen, dass es ihm leidtat, da das gelogen wäre.
Es tat ihm leid, dass sie den Abend nicht allein verbrachten.
Es tat ihm leid, dass er bei Frauen nicht so draufgängerisch war wie sein diesbezüglich legendärer Bruder.
Aber es tat ihm nicht leid, dass er seine Absicht, sie zu verführen, deutlich gemacht hatte. Denn daran hatte sich nichts geändert.
„Du siehst wunderschön aus“, meinte er stattdessen.
15. KAPITEL
J oslyn erlebte das Abendessen in Kendras riesiger Küche wie in Trance. Sie aß nur ein paar Bissen von Opals berühmten Spaghetti mit Fleischbällchen – seit jeher eines ihrer Lieblingsgerichte – und schnappte nur hier und da ein paar Gesprächsfetzen auf.
Ihre Gedanken, ihr Körper und all ihre Sinne waren auf den Mann konzentriert, der – das hatte Opal natürlich so eingefädelt – neben ihr am Tisch saß. Wenn sie es nicht schon vorher, als er sie geküsst hatte, gewusst hätte, dann spätestens jetzt: Slade Barlow würde ganz sicher mit ihr schlafen. Daran bestand kein Zweifel.
Und sie würde es nicht nur zulassen, sondern sich ihrer Leidenschaft hingeben.
Dieses instinktive Wissen hatte etwas merkwürdig Friedliches an sich. Gleichzeitig empfand Joslyn eine gewisse Hilflosigkeit, die sie ein wenig erschreckte. Sie fühlte sich wie ein Asteroid, der zu nah an ein riesiges schwarzes Loch geraten war. Sobald sie in dieses Loch – was auch immer es sein mochte – hi – neingezogen wurde, würde sie vielleicht nie mehr herausfinden.
Was danach folgte – in Gedanken schrieb sie dieses „Danach“ in Großbuchstaben – war ihr völlig klar. Egal, ob sie nun von hier wegzog, jemand anderen heiratete und zehn Kinder bekam oder in ein Kloster ging – ein Teil von ihr würde immer dem derzeitigen Sheriff von Parable County gehören.
Es war Lust, sagte sie sich. Mehr nicht. Nur Lust, keine Liebe. Es konnte nicht Liebe sein. Nicht, dass sie bei diesem Thema eine Expertin gewesen wäre …
Dennoch, der Anblick von Slades Haaren, die vom Duschen noch feucht waren, und der frische Duft seiner Haut und Kleidung lösten ein enormes Verlangen in ihr aus. Einen Hunger, den sie noch nie erlebt hatte.
Außerdem, rief sie sich in Erinnerung, bin ich eine erwachsene Frau mit gesunden emotionalen und körperlichen Bedürfnissen. Und ihre Spirale saß immer noch an Ort und Stelle. Siehatte sie sich vor einem Jahr einsetzen lassen, als sie kurz mit einem Mann zusammen gewesen war, den sie durch ihre Arbeit kennengelernt hatte.
Dazu kam, dass sie viel zu lange allein– und einsam– gewesen war. Sie hatte geradezu lächerlich viel gearbeitet, und das mit nur einem einzigen Ziel: jenen Leuten ihr Geld zurückzuzahlen, die ihr Stiefvater betrogen hatte. Sie hatte es getan, um die ganze Sache ein für alle Mal abzuschließen und dann ein neues Leben beginnen zu können.
Doch was für ein Leben? Was genau wollte sie machen? So weit voraus hatte sie nicht gedacht, zumindest nicht im Detail. Außerdem hatte sie nicht damit gerechnet, dass Slade ihr Leben verkomplizieren würde.
Sie biss sich auf die Unterlippe und versuchte, dem Gespräch am Tisch zu folgen. Opal und Shea unterhielten sich über Alltägliches – über Filme, die sie beide gesehen hatten oder sehen wollten, eine gemeinsame und geheime Leidenschaft fürs Bowling und darüber, wie das neue Pferd heißen sollte. Joslyn bemerkte, dass Slade genauso wenig an der Unterhaltung teilnahm wie sie. Aber bei ihm war das normal, nicht wahr?
Irgendwann war das Essen endlich vorüber.
Opal bot Shea an, ihr im Gegenzug zu dem Rundgang durch das Ranchhaus Kendras Herrenhaus zu zeigen. Shea nahm das Angebot begeistert an.
Was zur Folge hatte, dass Slade und Joslyn allein zurückblieben. Schon wieder.
Slade räusperte sich, als wollte er etwas sagen. Doch dann sah er weg, stand auf und begann, den Tisch abzuräumen.
Joslyn spülte die Teller, das Besteck und die Gläser ab und stellte dann alles in den Geschirrspüler.
Sie überlegte. Das Herrenhaus war ungefähr fünfmal so groß wie das Ranchhaus. Wenn man zusätzlich noch
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