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Big U

Big U

Titel: Big U Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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die sie nicht ganz so sehr verabscheuten wie John Wesley Fenrick. Fenrick stellte den »Go big red«-Ventilator ans Fenster, blies kalte Novemberluft durch das Zimmer und konnte so vielleicht acht Prozent des Qualms zur Tür hinauswehen lassen. Ein Nachteil der Regeln war, daß darin nicht erwähnt wurde, wie verunreinigte Luft auszutauschen wäre, sehr zum Unglück von Fenrick, der trotz seines häufig durch Chemikalien erweiterten Bewußtseinszustands fanatisch clean war.
    In einem zufälligen Luftwirbel des Ventilators fiel eines Abends eine Zigarre herunter, die auf einem gestohlenen Blechaschenbecher von Burger King lag, rollte mehrere Zentimeter und überquerte die Grenze zu Fenricks Teil des Zimmers. Dort brannte sie ein oder zwei Minuten, bis ihr Besitzer, ein Freund von Klein, die Kühnheit aufbrachte, danach zu greifen und sie aufzuheben. Die Folge war ein kleiner brauner Fleck auf Fenricks Linoleum. Fenrick bemerkte ihn zunächst gar nicht, aber als er ihn gesehen hatte, wurde seine Wut mit jedem Tag größer. Seiner Meinung nach wäre Klein verpflichtet gewesen, »diese Schweinerei« zu entfernen. Klein stand auf dem Standpunkt, daß alles auf Fenricks Seite des Zimmers Fenricks Problem wäre; Klein bezahlte nicht fünfzehntausend Dollar jährlich und studierte Philosophie, um für ein unhöfliches Arschloch wie John Wesley Fenrick den Boden zu schrubben. Er verwies auf eine Klausel in den Regeln, die diese Überzeugung vage bestätigte. Fast eine Woche lang schrien sie sich wegen dieser Klausel über die Trennlinie hinweg an. Dann hörte ich Ephraim eines Tages durch die offene Tür brüllen.
    »Herrgott! Was, zum Teufel, machst du – Ha! Das darf ja wohl nicht wahr sein!« Er streckte den Kopf zur Tür heraus und rief: »He, kommt alle her und schaut euch an, was dieser blöde Wichser hier macht.«
    Ich schaute.
    Aus Gründen, über die ich lieber nicht nachdenken mag, besaß John Wesley Fenrick eine Milchflasche voller Staub. Als ich in das Zimmer sah, hatte er den Deckel aufgeschraubt und streute rote Okie-Erde über die Grenzlinie und Ephraims Seite des Zimmers. Ephraim machte einen mehr amüsierten als wütenden Eindruck, obwohl er ausgesprochen wütend war, und bestand darauf, daß so viele Leute wie möglich zusahen und Zeugen wurden. Fenrick setzte sich gleichmütig hin, sah fern und ließ gelegentlich ein verhaltenes, einsames Lächeln erkennen.
    Wieder stellt sich die Frage nach meiner Verantwortung. Aber wie hätte ich ahnen können, daß dies ein Ereignis von enormer Bedeutung war? Ich hatte auch gesehen, wie sich Liebespaare in der Mensa stritten; weshalb hätte ich vermuten sollen, daß dies hier weitaus gravierender war? Ich hatte nicht die Befugnis, diese Leute herumzukommandieren. Darüber hinaus wollte ich es auch gar nicht. Ich hatte getan, was ich konnte. Ich hatte ihnen gezeigt, wie man sich vernünftig benahm, und wenn sie es nicht kapierten, war das nicht mein Problem.
    Als ich das nächste Mal vorbeischaute, war Ephraim Klein allein und las auf seinem Bett, während gregorianische Gesänge durch das Zimmer hallten. Ich war nachsehen gekommen, warum er sich meinen Besen ausgeliehen hatte. Er hatte damit eine Begrüßungsmatte für seinen Zimmergenossen gemacht. Direkt vor dem »Go big red«-Ventilator – dem beweglichen Teil der Wand, der als Tür fungierte –, hatte er den ganzen Staub zu einem Rechteck von etwa dreißig mal sechzig Zentimetern Länge und einem Zentimeter Höhe zusammengefegt. In den Staub hatte er mit dem Finger geschrieben:
    BESORG DIR EINEN ARSCHFICK
    JOHNNIE WONNIE
     
    Als Fenrick nach Hause kam, folgte ich ihm unauffällig zu seinem Zimmer, um die Lage im Auge zu behalten. Als ich ihre Tür erreichte, betrachtete er die Matte mit undeutbarer Miene. Er bückte sich und öffnete die Ventilator-Tür, trat hindurch, ohne den Staub aufzuwirbeln, und machte sie zu. Er drehte sich um und sah den grinsenden Ephraim Klein eine Weile an. Dann beugte sich John Wesley Fenrick stumm und würdevoll hinab, stellte den Ventilator auf Maximum und erzeugte so eine kleine Simulation von Oklahoma in den 1930er Jahren auf der anderen Seite des Zimmers.
    Als ich mich vergewissert hatte, daß es nicht zu gewalttätigen Ausschreitungen kommen würde, ging ich und überließ sie einander.
    Septimius Severus Krupp stand hinter einem Rednerpult aus billigem Sperrholz im Hörsaal 13 und redete über Kants Ethik. Die fünfzig Leute im Publikum hörten zu oder nicht, je nachdem, ob

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