Bilder von A.
Duty-free-Shop des Flughafens kaufte er auf der Rückreise noch allerlei andere Sachen ein, Andenken aus Moskau für seine Frau und die Kinder, wie ich verstand. Er kommentierte die Einkäufe nicht, und ich stellte keine Fragen.
Da waren wir also schon wieder in Berlin, schon wieder getrennt, noch in Scheremetjewo, in Moskau.
In Berlin-Schönefeld nahm jeder seine S-Bahn, A. hatte eine direkte bis Jannowitzbrücke, ich mußte am Ostkreuz auf den Ring umsteigen.
Irgendeines Abends, die Kleist-Premiere lag schon lange hinter uns, klopfte dann meine Nachbarin bei mir, Klingeln funktionierten in unserem Haus grundsätzlich nicht, manchmal hatte ich den Verdacht, daß es aus Prinzip so war, denn Klopfen wurde von den Mitbewohnern deutlicher wahrgenommen, so daß sich leichter observieren ließ, wer wann von wem Besuch empfing.
Meine Nachbarin hielt ein großes Kuvert in der Hand und sagte, das habe »der große Blonde mit dem Fahrrad«, der manchmal vorbeikomme, bei ihr abgegeben, da ich nicht zu Hause gewesen sei. Sie zog sich schnell zurück, obwohl wir, wenn ich zu ihr telefonieren ging, öfter noch eine »schöne Tasse Kaffee« zusammen tranken, wie sie es nannte, und uns unterhielten. Sie lebte allein mit ihrer Tochter, den Vater der Tochter sah man nie, und er wurde auch nie anders erwähnt als unter der Rubrik »diese Männer«, von denen es ansonsten nur Schlechtes zu berichten gab. Denn auch alle ihre Freundinnen und Kolleginnen, jedenfalls erzählte sie es so, waren alleinstehend, geschieden oder nie verheiratet gewesen, mit oder ohneKinder. Eine merkwürdige Gruppe, von denen fast alle als Lehrerinnen arbeiteten, vielleicht war das »diesen Männern« zu anspruchsvoll, zu intellektuell. Meine Nachbarin machte keinen Hehl daraus, daß sie den »großen Blonden mit dem Fahrrad«, der mich ab und zu besuchte, auch unter der Rubrik »diese Männer« einordnete. Das sah sie. Die erkannte sie nämlich. Der bleibt nicht. Aus irgendwelchen Gründen können »diese Männer« nicht bleiben oder wollen sich nicht binden, nicht heiraten oder sind überhaupt schon verheiratet, suchen bloß ein Verhältnis und kommen dann irgendwann einfach abhanden, »verdünnisieren« sich, stehlen sich einfach weg, während die Frau gerade in der Schule unterrichtet, und räumen bei der Gelegenheit auch noch in der Wohnung ab, nehmen mit, was sie brauchen können, zum Beispiel die Kalbskoteletts aus dem Tiefkühlfach! So redete sie.
Kalbskoteletts waren in der DDR nicht mit Gold aufzuwiegen.
Ich erkannte sofort A.s blaue, sich ringelnde, kringelnde Schrift auf dem Kuvert, mit der er meinen Namen quer über den gelben, schon gebrauchten DIN-A4-Umschlag geschrieben hatte, der als Drucksache der Akademie der Künste an A. adressiert und mit einer abgestempelten 15-Pfennig-Walter-Ulbricht-Briefmarke beklebt war. Das alles war von A.s Hand kräftig mit dickem, rotem Filzstift durchgestrichen, seine Anschrift am Berliner Theater , die Akademie der Künste und die Ulbricht-Briefmarke.
In dem Kuvert fand ich ein Buch und einen Brief. Ein sehr schmales, antiquarisches Buch, auf Büttenpapier gesetzt und kunstvoll gestaltet, die Seiten jedoch schon gelblich und der Einbandrücken aufgeplatzt, so daß schon die verrosteten Klammern zu sehen waren, die die Seiten zusammenhielten.
Die Liebesgedichte
einer schönen Lyonaiser Seilerin
namens Louize Labé
Den vierundzwanzig Sonetten
der Erst-Ausgabe von 1555
deutsch nachgedichtet von Paul Zech
Copyright 1947 by Rudolf Zech. Veröffentlicht unter der
Lizenz Nr. 242 der sowjetischen Militärverwaltung
in Deutschland, gedruckt bei Erich Thieme in
Niederschöneweide
Seinen Brief hatte A. in das Buch hineingelegt.
Prinz Jussuf!
Diese Gedichte mußt Du in irgendeinem Leben geschrieben haben, ich habe sie in Leipzig aufgefunden und bringe sie Dir, etwas ramponiert, zurück. Nur das Buch ist ramponiert, nicht die Verse. Ich finde, sie sind bei Dir besser aufgehoben als im Antiquariat.
Vielleicht wirst Du es verstehen können: – ich haue nämlich jetzt ab. Nicht von Dir, nein. Das weißt Du ja. Es ist auch noch kein Perfekt, ich werde versuchen, ich hoffe, die Alternative Eingesperrtsein – Ausgesperrtsein zu durchbrechen. Ich weiß aber nicht, ob es klappt. Ich werde zunächst in Wien sein.
Deine Briefe möchte ich nicht wegwerfen, mitnehmen kann ich sie nicht. Sie sind solange bei M. in Sicherheit, ebenso Deine Bilder. Die Traumbücher nehme ich mit.
Der
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