Bilder von A.
Friedrichshain gibt’s nur ganz harmlose Spazierwege, die meinem Anfall von Zerstörungswut nichts zu bieten hatten.
Zu Hause habe ich brav die Strippen des Pakets aufgeknotet, nicht etwa eine Schere genommen, um sie einfach durchzuschneiden, habe die Bilder ausgepackt und an die Wand gehängt. Dabei sah ich, daß A. hinten auf die Rückseite jeweils geschrieben hatte: Dieses Bild gehört A. Ich hatte sie ihm ja geschenkt, und so sah er sie weiter als seinen Besitz an.
Dann habe ich meine eigenen Briefe gelesen, einige wenigstens, und mich gefragt, was nun aus uns werden würde und ob wir uns vielleicht nie mehr wiedersähen.
Dann habe ich geheult.
Unter den Bildern war auch das doppelte Doppelporträt von A. und mir. Ein großes Bild, das ich von uns in hellen, deutlichen, fast unvermischten Ölfarben und klaren Linien gemalt hatte. Da liegen wir auf dem Bett nebeneinander, A. auf dem Bauch und ich auf dem Rücken, aber wir berühren uns nicht. Es sollte ein friedliches Liebesbild sein, auf dem wir wenigsten in der S f äre der Poesie für immer vereint bleiben. Deshalb habe ich dasBild gleich zweimal gemalt, einmal für A. und einmal für mich, habe das eine vom anderen kopiert und weiß heute nicht mehr, welches das Original und welches die Kopie ist. Diesmal hatte ich keine Regalbretter benutzt, sondern echte Leinwand, nämlich ein zerschnittenes Laken, das meine Mutter auf Wienerisch »Leintuch« nannte, daher wußte ich, daß ich es zum Malen verwenden konnte, wenn ich es mit einer Mischung aus Leim, Kreide und Zinkweiß grundierte. Für beide Bilder habe ich sogar noch Rahmen geschreinert und statt einer Signatur geschrieben: »Für dich und für mich.«
Aber genau zu der Zeit, als ich sie gemalt hatte, war gerade wieder irgendein Zwist zwischen uns gewesen, nein, kein Zwist, A. hatte sich nur einfach wieder zurückgezogen, wollte allein sein, nicht mit mir zusammen, nicht bei mir, nicht bei sich, an keinem Ort, und er brachte mich auch nicht auf der Fahrradstange nach Hause. Es war mitten in der Kleist-Phase, wir vermieden es, uns außerhalb des Theaters zu sehen, daher bat ich meine Freundin, ihm das Bild zu überbringen, damit wir uns nicht begegnen müßten. Sie läutete an seiner Wohnung, aber es öffnete niemand, also stellte sie das Bild einfach vor die Tür, da mußte er es ja irgendwann bei seiner Rückkehr finden.
Nun aber waren beide Varianten des Bildes wieder bei mir, und ich schenkte das Original oder die Kopie meiner Freundin, die es zu ihm getragen hatte, und enteignete A. seines Anspruchs.
Aber wie kläglich ich mich fühlte!
Nun steckten keine Zettel und Briefe mehr unter meiner Tür, wir mußten unsere Briefe jetzt über die Post wechseln oder gaben sie jemandem konspirativ mit. Dann stand manchmal ohne Voranmeldung ein völlig unbekannter Mensch vor meiner Tür, »schönen Gruß von A.«, und brachte einen Brief oder ein Päckchen oder beides. In dem Päckchen war Schokolade oder ein Fläschchen von Chanel, denn Chanel und Schokolade – das war der Westen.
Und so lebte ich, nachdem A. weggegangen war, noch lange weiter in der Erwartung eines Wortes oder einer Geste von ihm, und noch jeden Tag, bis zum Ende seines Lebens, zitterte ich beim Briefkastenöffnen, weil ja ein Brief von ihm darin hätte liegen können, das hoffte und fürchtete ich jedes Mal.
Denn bis kurz vor seinem Tod haben wir nie aufgehört, uns unregelmäßig, aber unaufhörlich Briefe zu schreiben, immer in der S f äre der Poesie verhaftet , um nur ja nicht an unsere jeweiligen alltäglichen Lebensumstände zu rühren. Und mit peinlicher Zuverlässigkeit schickten wir uns, als auch ich schon im Westen lebte, Ansichtskarten von den verschiedensten Orten der Welt, wichtigen Hauptstädten oder exotischen Gegenden, am Atlantik, am Mittelmeer, in den Alpen, und manchmal sogar von jenseits der großen Meere, Gegenden und Orte, die uns, solange wir noch in der DDR gelebt hatten, unerreichbar und verschlossen geblieben waren, von denen wir deshalb geträumt und uns ganz übertriebeneVorstellungen gemacht hatten und die wir erst entdeckten, nachdem wir die DDR in unterschiedliche Richtungen hinter uns gelassen hatten.
Und bis zum Schluß, während die Mißverständnisse und Mißklänge schon immer heftiger wurden, haben wir die Unmöglichkeit unseres Briefwechsels reflektiert. Die Unmöglichkeit, ihn abzubrechen, und die Unmöglichkeit, ihn fortzusetzen. Ein Problem, das A. nicht lösen konnte und das auch ich
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