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Bilder von A.

Titel: Bilder von A. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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Abschied wird kein endgültiger sein.
    Ich sehe Dich oft vor mir, aber immer so, wie ich Dich am ersten Abend bei Valentin gesehen habe, als Du die Haare hinten zusammengenommen hattest.
    Laß bitte von Dir hören!
    Dein
    Mönch am Meer
     
    Die blaue Schrift seines Briefes schlängelt sich in engen Zeilen von Rand zu Rand, daß fast keine leere Fläche auf dem Blatt bleibt und kein Raum zwischen den Wörtern, die in ihrem Ringeln und Kringeln und Schlängeln alle gleich aussehen.
     
    Nach seinem Tod habe ich das schmale, ramponierte Buch mit den Sonetten der schönen Lyonaiser Seilerin zu unseren Briefen, Zetteln, Notizen, Zeichnungen und Gedichten, die in der kalifornischen Kekskiste eingesargt sind, als Grabbeigabe zugefügt. Manchmal, in irgendeinem ganz falschen Moment oder im Traum, wehen mir,ungebeten und ungerufen, immer noch ein paar Zeilen davon durch den Kopf.
     
    Louize Labé
    Das VIII. Sonett
     
    Ich lebe, sterbe, glühe und erfrier,
    ich leide und bin froh zugleich,
    ich suche Armut und gewinne reich,
    ich bin nicht dort und bin nicht hier.
     
    Mir mischt ein sonderbares Los
    das Rechte mit dem Linken und erlöst
    mich von der Unruh und verstößt
    mich wieder in den Schoß
     
    der Wirrnis, die kein Ende nimmt.
    So treibt mein Gott mich hin und her,
    und wenn ich mein: nun greift
    der Tod erbarmend ein:
     
    erhebt sich neue Lust und reift
    wie nie, und macht mich wieder klein.

 
    Ungefähr drei Wochen später erhielt ich eine Ansichtskarte aus Wien, auf der die Kaiserkrone des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation zu sehen war und auf deren Rückseite in A.s unverwechselbarer Schrift ohne Anrede und ohne Unterschrift stand: »In meinem Zimmer im Theater stehen hinter der Couch 2 Pakete für Dich. Bitte hole sie Dir ab. Wende Dich notfalls an M.«
    A. war mit einem »Arbeitsvisum« aus der DDR ausgereist, das ihm theoretisch eine Rückkehr erlaubte, an die er aber im Traum nicht dachte, daher mußte er unauffällig, nur mit leichtem Gepäck abreisen und den Rest vorher auflösen oder zurücklassen. Den Teil würde dann die Stasi kassieren, und persönliche Dinge sollten ihr möglichst nicht in die Hände fallen.
    Es war das erste Mal, daß ich seit dem Kleist-Debakel wieder das Berliner Theater betrat. Dort herrschte Geschäftigkeit wie immer, nichts hatte sich verändert, wie sich eben nach jedem Debakel auch die Erde weiterdreht, die Sonne scheint und Wiesen voller Veilchen stehen. Der Bühnenpförtner grüßte mich als alte Bekannte, wahrscheinlichhatte er meine Abwesenheit gar nicht bemerkt; ich fragte ihn sogar nach Post, und tatsächlich hatte eines der Kinder eine Nachricht für mich hinterlassen, ob wir nicht weiter Theater spielen wollten und wann.
    Die zwei Pakete standen, genau wie A. es angegeben hatte, hinter der Couch in dem Raum, der sein Arbeitszimmer gewesen war und in dem wir immer unsere Besprechungen abgehalten hatten; ich betrat es unbemerkt, auf dem Flur begegnete mir niemand. Das kleinere Paket steckte ich in den Rucksack, den ich mitgebracht hatte, und schnallte ihn mir auf den Rücken, das größere, das mit den Bildern, klemmte ich mir unter den Arm. Dem Bühnenpförtner erklärte ich, daß ich meine Sachen abgeholt hätte, da ich nun nicht mehr hier angestellt sei, und er sagte nur, ach ja? Dann bin ich durch den Friedrichshain getrabt, am Denkmal der Spanienkämpfer und dem kleinen Friedhof für die März-Gefallenen vorbei, und kam mir genauso geschlagen vor wie sie, die Spanienkämpfer und die März-Aufständischen, deren Namen ich oft auf den kleinen steinernen Grabplatten gelesen hatte. Wie jung sie gewesen waren.
    Erst jetzt verfiel ich in Traurigkeit und Abschiedsschmerz, die ich bis dahin noch gar nicht gespürt hatte, denn A. hatte sich ja schon immer zurückgezogen, und ich hatte immer auf ihn warten müssen. Ich dachte daran, wie ich damals zu ihm gesagt hatte, mein Beruf wird Liebhaberin sein, und wie er gelacht hatte, aber nun hatte ich wohl bloß die Nervensäge gegeben. So tief fiel ich in meiner Trauer, daß mir solche Gedanken kamen. Dochdann schlug meine Traurigkeit in Wut um, weil ich mich ihm so ausgeliefert hatte, und nun haute er einfach ab, genau wie »diese Männer«, die noch das Kalbskotelett aus dem Tiefkühlfach mitnehmen. Am liebsten hätte ich die Pakete mit meinen Bildern und meinen Briefen jetzt weggeschmissen, oder besser noch vor einen Zug oder ein Auto geworfen, die sie zermalmen und zerfetzen und vernichten würden. Aber im

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