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Billard um halbzehn

Billard um halbzehn

Titel: Billard um halbzehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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werde mich an den Nachtisch halten.«
    »Wie du willst.«
    Der Ober brachte noch zwei Martinis, auf einem Tablett, das sicher mehr gekostet hatte als ein Schlafzimmer; Nettlinger nahm ein Glas vom Tablett, reichte es Schrella, nahm seins, beugte sich vor und sagte: »Dies auf dein Wohl, auf dein spezielles.«
    »Danke«, sagte Schrella, nickte und trank.
    »Eins ist mir noch unklar«, sagte er, »wie kam es, daß sie mich an der Grenze schon verhafteten.«
    »Es ist ein verdammter Zufall, daß dein Name noch auf der Fahndungsliste stand; Mordversuch verjährt nach zwanzig Jahren, und du hättest schon vor zwei Jahren gestrichen werden müssen.«
    »Mordversuch?« fragte Schrella.
    »Ja, was ihr damals mit Wakiera gemacht habt, lief unter dieser Bezeichnung.«
    »Du weißt wohl nicht, daß ich gar nicht daran beteiligt war; ich habe diese Sache nicht einmal gebilligt.«
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    »Nun«, sagte Nettlinger, »desto besser; dann wird es keine Schwierigkeiten machen, deinen Namen endgültig von der Fahndungsliste zu streichen; ich konnte mich nur für dich verbürgen und deine vorläufige Freilassung erwirken; die Eintragung konnte ich nicht annullieren; jetzt wird alles weitere nur eine Formsache sein. Du gestattest, daß ich mit meiner Suppe schon anfange?«
    »Bitte«, sagte Schrella.
    Er wandte sich ab, dem Bahnhof zu, während Nettlinger seine Suppe aus dem Silberbecher löffelte; gewiß waren die blaßgelben Klößchen in der Suppe vom Mark der edelsten Rinder, die je auf deutschen Wiesen geweidet hatten; golden schimmerte auf dem Tablett der Räucherlachs zwischen dem frischen Grün der Salatblätter; sanft gebräunt war der Toast, silbrige Wassertropfen bedeckten die Butterklümpchen; beim Anblick des essenden Nettlinger mußte Schrella gegen ein elendes Gefühl der Rührung ankämpfen; er hatte Essen immer als einen hohen Akt der Brüderlichkeit empfunden; Liebesmahl in elenden Hotels und in guten; allein essen zu müssen war ihm immer wie eine Verdammung erschienen, und den Anblick allein essender Männer in Wartesälen und Frühstückszimmern, in den unzähligen Pensionen, die er bewohnt hatte, war für ihn immer der Anblick von Verdammten gewesen; er hatte immer Gesellschaft beim Essen gesucht, sich am liebsten zu einer Frau gesetzt; ein paar Worte gewechselt, während er Brot zerbröckelte, ein Lächeln über den Suppenteller hin, ein paar Handreichungen machten den rein biologischen Vorgang erst erträglich und zum Genuß; Männer wie Nettlinger, deren er unzählige beobachtet hatte, erinnerten ihn an Verurteilte; ihre Mahlzeiten kamen ihm wie Henkersmahlzeiten vor; sie aßen, obwohl sie die Tischsitten beherrschten und beobachteten, ohne Zeremonie, mit tödlichem Ernst, der Erbsensuppe und Poularde tötete; waren außerdem gezwungen, mit jedem Bissen, den sie aßen, den Preis zu würdigen. Er wandte sich von Nettlinger ab,
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    dem Bahnhof wieder zu, las das große Transparent, das über dem Eingang hing: Herzlich willkommen unsere Heimkehrer.
    »Hör mal«, sagte er, »würdest du mich als Heimkehrer bezeichnen?«
    Mit einem Lidaufschlag, als tauchte er aus Abgründen der Trauer auf, blickte Nettlinger von der Toastschnitte hoch, die er gerade mit Butter bestrich.
    »Das kommt darauf an«, sagte er, »bist du eigentlich noch deutscher Staatsbürger?«
    »Nein«, sagte Schrella, »ich bin Staatenloser.«
    »Schade«, sagte Nettlinger, neigte sich wieder über seine Toastschnitte, spießte ein Stück Räucherlachs von der Platte, zerlegte es - »wenn es dir gelingen könnte zu beweisen, daß du nicht aus kriminellen, sondern aus politischen Gründen fliehen mußtest, würdest du eine ganz hübsche Entschädigung bekommen können. Liegt dir daran, daß ich die Rechtslage kläre?«
    »Nein«, sagte Schrella. Er beugte sich vor, als Nettlinger die Lachsplatte zurückschob: »willst du etwa den herrlichen Lachs zurückgehen lassen?«
    »Natürlich«, sagte Nettlinger, »aber du kannst doch nicht...«
    Er blickte erschrocken um sich, als Schrella sich eine Scheibe Toast vom Teller, den Lachs mit den Fingern von der Silberplatte nahm und auf den Toast legte - »du kannst doch nicht...« »Du glaubst gar nicht, was man in einem so vornehmen Hotel alles kann; mein Vater ist Kellner gewesen, sogar in diesen heiligen Hallen; die verzögen keine Miene, wenn du Erbsensuppe mit den Fingern essen würdest, obwohl das unnatürlich und unpraktisch wäre; aber gerade das Unnatürliche und Unpraktische wird hier am

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