Billigflieger
Gläser machen den Blick auf die Welt schon erträglicher. Aus dem Weiß, dem Blau und den vielen bunten Flecken dazwischen formt sich eine fröhliche Strandszenerie: ein paar spielende Kinder, ein paar Kreuzworträtsel lösende Senioren und dazu mehrere Tausend schlafende, verkaterte, in der Sonne brutzelnde Ballermann-Touristen, die genau wie wir im Laufe des Vormittags aus ihren Hotelzimmern gekrochen sind und mit reichlich Restalkohol im Blut den Weg zum Strand gefunden haben. Hier liegen sie nun und hoffen, dass die Kopfschmerzen nachlassen, damit sie heute Abend wieder fit genug sind, um dasselbe Programm wie gestern zu erleben.
Während mein Blick leicht trudelnd über die Leute gleitet, meldet sich mein Kopf mit einem Pochen, das auf der Richterskala mindestens die Stärke acht aufweisen würde. Immer noch die Auswirkungen der letzten Nacht. Ich presse die Finger gegen meine Schläfen. Hoffentlich überlebe ich.
Auf der Suche nach etwas Tröstendem entdecke ich zwei Mädchen, die etwa drei Meter von uns entfernt auf ihren Badelaken liegen. Im Vergleich zu ihnen müsste Tatjana Gsell als natürliche Schönheit gelten. Die eine ist blond, die andere dunkelhaarig, aber bei beiden sind die aufgespritzten Lippen nach vorne gewölbt wie bei einem Goldfisch beim Luftholen, ihre Brüste erinnern an Airbags nach einem Auffahrunfall, und ihre künstlich verlängerten Pferdeschwänze sind so lang wie die Treibnetze, mit denen eine Hochseefangflotte die Meere plündert. Echte Arenal-Schönheiten, die beiden.
»Ja, sieh dich nur satt, Jo. Ist schließlich bald vorbei damit. Nina wird dir solche Blicke nämlich nicht durchgehen lassen.«
Hacki, der das von sich gegeben hat, muss zwischenzeitig an Tuberkulose erkrankt sein. Jedenfalls klingt sein Lachen wie eine Eisenfeile, die über ein paar rostige Nägel schleift. Okay, denke ich, er arbeitet auch noch die vergangene Nacht ab.
Sehr vorsichtig und sehr langsam drehe ich den Kopf in seine Richtung - bloß keine hektischen Bewegungen.
»Kein Interesse, Hacki. Das ist zwar solides chirurgisches Handwerk. Aber du kannst sie haben. Alle beide.«
»Echt? Beide?«
»Mit allem, was dran ist.«
Hackis Gesichtsausdruck verwandelt sich in ein entrücktes Grinsen. »Na, dann werde ich mein Glück gleich mal bei denen probieren. Ich fühle mich nämlich gut in Form heute. Ich habe das Gefühl, da geht was. Oder, was meinst du? Sehe ich scharf aus, oder was?«
Hacki erinnert mich an eine aufgedunsene, halbtote Wasserleiche mit einem mächtigen Sonnenbrand auf der Halbglatze. Von seinem Mundgeruch ganz zu schweigen. Und davon, dass sich die Schweißströme auf seinem Oberkörper zu einem Kratersee in seinem Bauchnabel vereinigen. Dazu kommen die Senfflecken an seinem Kinn, die vermutlich noch von dem halben Meter Bratwurst stammen, den wir vergangene Nacht verputzt haben.
»Klar, Hacki. Du bist absolut unwiderstehlich. Wirst garantiert bei den Mädchen landen.«
Hacki will es wirklich tun. Er dreht sich auf den Bauch, geht in den Vierfüßlerstand und will gerade schnaufend aufstehen, als ihn eine weitere angekratzte Stimme innehalten lässt.
»Vergiss die beiden, Hacki. Viel zu anstrengend. Lass uns lieber frühstücken gehen.«
Das ist Benni, unser Youngster. Er lächelt Hacki aufmunternd an, und der lässt seine drei Zentner Lebendgewicht bereitwillig zurück auf das Badelaken plumpsen. Wenn es etwas gibt, was ihn mehr anzieht als gut aussehende Frauen, dann ist das Essen, und zwar egal in welcher Form.
In diesem Augenblick meldet sich auch Schröder zu Wort. Das heißt, zunächst hören wir nur, wie er aus seinem üblichen vormittäglichen Arenal-Koma erwacht. Es klingt ungefähr wie ein brünftiger Hirsch bei der Morgendusche. Er grunzt, schnauft, ächzt und stöhnt. Dann macht er ein Auge auf, ein paar Sekunden später das zweite, sieht uns an, erkennt uns und sagt: »Leute, ich brauche ein Bier. Und zwar schnell.«
9. Frühstück an der Theke
Klar, eigentlich hätten wir schon vor Stunden im Hotel frühstücken können. Bezahlt haben wir es schließlich. Dumm nur, dass die Türen zum Speisesaal pünktlich um zehn Uhr morgens schließen, zu einer Zeit also, zu der kein normaler Malle-Tourist in einem Zustand ist, in dem er feste Nahrung zu sich nehmen könnte.
Darum werde ich ehrlich gesagt den Verdacht nicht los, dass es in Wahrheit gar kein Frühstück gibt im Hotel. Warum auch - ist ja sowieso niemand da. (Okay, gerüchtehalber sitzen morgens um sieben eine
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