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Billigflieger

Titel: Billigflieger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Tamm
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gar nichts. (Nur mal am Rande bemerkt: Die Reichen in Deutschland hinterziehen jedes Jahr mehr Steuern, als die Armen an Arbeitslosengeld oder sonstiger Unterstützung bekommen. Da soll nochmal einer von Gerechtigkeit reden!)
    Bevor jetzt übrigens Missverständnisse aufkommen: Es ist nicht so, dass ich bei unseren Versicherungskunden immer nur hart oder kaltherzig bin. Ich kann auch anders sein. Erst neulich zum Beispiel war ich bei einer Familie in einem Vorort von Essen. Laut Meldung an die Versicherung hatte der achtjährige Sohn einer einfachen, mittellosen Familie das Fahrrad eines Freundes ausgeliehen und dann aus Versehen in einem Kanal versenkt, aus dem man es auch nicht wieder rausholen könne.
    Nach ungefähr zwanzig Minuten wusste ich Bescheid: In dem Ort gibt es keinen Kanal, von Familie konnte keine Rede sein, weil der Vater vor Jahren mit einer anderen Frau durchgebrannt war, und der Sohn, der nicht acht, sondern zehn Jahre alt war, hatte gar keine Freunde und konnte sich darum auch kein Fahrrad ausleihen.
    Vor mir saß einfach nur eine verzweifelte Mutter, die ihrem Sohn einmal im Leben etwas gönnen wollte. Als ich sie zur Rede stellte, schlug sie die Hände vors Gesicht und schluchzte laut auf.
    »Ich hab’s doch nur für den Jungen gemacht. Er wünscht sich so sehr ein Fahrrad. Und ich hab doch kein Geld. Muss ich jetzt ins Gefängnis?«
    »Na ja, Frau Koslowski«, sagte ich, »was Sie da gemacht haben, kann man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Sie haben die Unwahrheit gesagt …«
    »Aber ich wollte doch nichts Böses tun!«
    »Warum haben Sie denn die Versicherung angelogen? Sie hätten doch vielmehr bei der Wahrheit bleiben und angeben müssen, dass Unbekannte bei Ihnen eingebrochen sind und sämtliche Möbel mitgenommen haben, dazu den Fernseher und das Silberbesteck. Und Sie hätten doch ruhig auch sagen können, dass das funkelnagelneue Mountainbike mit der Achtzehn-Gang-Schaltung und den Halogenlichtern Ihres Sohnes zerstört worden ist und dass die Diebe auch noch die Originalrechnung gestohlen haben.
    Und hier, diese Risse in der Tapete stammen ganz klar von einem Wasserschaden, für den die Hausratversicherung aufkommt. Und zwar muss hier eine Komplettrenovierung bezahlt werden. Dazu gibt es neue Möbel und ein komplettes Jugendzimmer für Ihren Sohn, der selbstverständlich auch neue Kleidung erhält. Machen Sie sich also keine Sorgen, Frau Koslowski. Das Geld ist nächste Woche auf Ihrem Konto. Und die Renovierung geht auch bald los.«
    Die Frau nahm mich zum Abschied so lange und so herzlich in den Arm, dass mir danach alle Rippen wehtaten.
     
    Xavier geleitet uns zu einem Teil des Restaurants, das ganz im heimeligen Bodega-Stil gehalten ist, und während wir uns setzen, entdecke ich an den umliegenden Tischen unter anderem Martin Semmelrogge, Peter Maffay und Dagmar Berghoff. Alles Leute, denen vermutlich die Villen gehören, an denen wir vorhin vorbeigefahren sind.
    Kurz darauf erscheint ein Kellner und tänzelt auf uns zu, als würde er direkt von der Ballettstunde kommen. Anscheinend ist das hier Einstellungsvoraussetzung, dass man sich so bewegt. Er verbeugt sich, wischt mit einer galanten Bewegung ein paar unsichtbare Krümel vom Tischtuch, reicht uns die Speisekarte und fragt mit näselnder Stimme: »Wollen Monsieurdames, dass ich den Sommelier kommen lasse?«
    Ich bin überrascht. Ist schließlich nicht üblich, dass einem die schwarze Küchenhilfe persönlich vorgestellt werden soll, wobei es mich gar nicht interessiert, ob der aus Kenia, Tansania oder eben Somalia kommt. Katie findet es offenbar genauso übertrieben wie ich und winkt ab.
    »Ihre Empfehlung genügt uns völlig, François.«
    »Merci, Madame. Stets zu Ihrer Verfügung.«
    Meine Laune sinkt immer tiefer in den Kellner. Das hier, das ist einfach nicht meine Welt. Fühle mich wie ein Süßwasserfisch, der auf einmal ins offene Meer geraten ist. Ich weiß nicht, wie lange ich das durchhalte. Außerdem sehe ich Katie auf einmal in einem neuen Licht. Und zwar vermutlich in dem Licht, das sie so zeigt, wie sie wirklich ist.
    Warum, bitte schön, wollte sie hierherkommen? Doch wohl nur, weil sie mir beweisen möchte, wie selbstverständlich es für sie ist, neben Leuten zu sitzen, die ich nur aus dem Fernsehen kenne. Und sie will mir vermutlich einfach nur klarmachen, dass es für sie kein Thema ist, für ein Mittagessen genauso viel Geld auszugeben wie ich für meinen kompletten Urlaub. Inklusive Flug und

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