Billigflieger
Art gemacht. Vielleicht haben sie es nicht mit Absicht getan, aber auf Dauer macht das auch keinen Unterschied. Und …«
Ich sehe sie erwartungsvoll an, denn bisher klingt das Ganze nicht unbedingt nach einem Kompliment, sondern eher wie das Gegenteil. Gerade als ich etwas sagen möchte, fährt sie fort: »… Nur bei dir, Jo, da ist es anders.«
»Anders?«
»Ja, ich spüre, dass du ehrlich bist. Und ich kann dir gar nicht sagen, wie unendlich viel mir das bedeutet. Vielleicht ist es sogar das Wichtigste überhaupt.«
Ich sehe sie erstaunt an und frage: »War das jetzt das Kompliment?«
»Ja, das war das Kompliment.«
»Hm. War gar nicht so schlimm. Kann ich noch eins haben?«
Sie lacht, und ich freue mich darüber.
»Vielleicht ein andermal. Erst einmal musst du nämlich ein Versprechen einlösen.«
»Ich wusste, dass die Sache einen Haken hat.«
»Erinnerst du dich an unsere erste Nacht? Damals hast du versprochen, mir etwas über dich zu erzählen, wenn wir uns wiedersehen. Jetzt ist es so weit.«
Ich stöhne genervt auf. Es ist also wirklich so, wie ich befürchtet habe: Ich will Sex. Und die Frau, mit der ich zusammen bin, will reden .
Aber, was soll’s. Schließlich ist das eine Lebensweisheit, die jeder Mann beherzigen sollte: Man muss das eine tun, um das andere zu bekommen. Also schön, dann reden wir halt. Hauptsache wir machen danach das, was ich will.
31. Mein Leben und ich
Ich bin in einer Kleinstadt am nördlichen Rand des Ruhrgebietes aufgewachsen, und zwar in einer Mietshaussiedlung, die eine verdächtige Ähnlichkeit mit einer Legebatterie für Masthühner hat. Die Häuser waren zwar etwas größer als die entsprechenden Ställe, aber dass man uns Kinder als »freilaufend« bezeichnen könnte, würde ich nicht sagen.
Meine Eltern waren das, was man einfache Leute nennt. Mein Vater war Arbeiter, meine Mutter Hausfrau, mein Bruder war Rocker, und ich war der Typ, der alles einmal besser machen sollte. Tja, hat nicht unbedingt hingehauen.
Die schönsten Momente in meiner Jugend erlebte ich, wenn ich allein mit meinem Vater im Schrebergarten war, wo er seinen Selbstgebrannten versteckte, und zwar nicht nur vor den Behörden, sondern auch vor meiner Mutter. Im Übrigen war mein alter Herr ein Mann, der auf alle Fragen, die man ihm stellte, immer dieselbe Antwort gab:
»Und, Heinz, wie geht’s?«
»Muss ja.«
»Und auf der Arbeit?«
»Muss ja.«
»Und zu Hause, mit deiner Frau?«
»Muss ja.«
Er war ein warmherziger, humorvoller Mensch, was man allerdings erst auf den dritten Blick bemerkte - und so genau hat meine Mutter nie hingesehen. Sie nannte ihn immer nur den »Alten«, und geredet hat sie nie mit ihm, weil sie ihn eigentlich immer nur angeschrien hat. Mein Vater, statt lautstark zu kontern, hat gar nichts gesagt. Er hat dagesessen und geschwiegen, und ab und zu hat er zu mir herübergesehen, mit den Augen gerollt und ganz leicht gelächelt. Wenn meine Mutter das sah, ist sie natürlich erst recht außer Rand und Band geraten.
»Ach, die Herren finden das wohl lustig?«
»Nein, Mama, bestimmt nicht«, habe ich gesagt.
»Und du, Heinz? Was ist mit dir?«
Keine Antwort - muss ja . Dann ist meine Mutter auf mich losgegangen, und es gab eine tüchtige Abreibung mit dem Teppichklopfer. Und wenn mein Vater dabei im Weg stand, hat er ebenfalls seinen Anteil Schläge abbekommen. Die blauen Flecken, die er dann hatte, erklärte er gegenüber seinen Kollegen natürlich immer nur mit einem Sturz von der Leiter, einem Sturz vom Stuhl, einem Sturz vom Dach der Gartenlaube.
Dabei erlebte er die einzigen echten Abstürze an der Kneipentheke, dafür umso tiefer und umso länger. Richtig saufen können halt nur wir Männer aus dem Pott.
Tatsache ist, dass mein Vater, der zu Hause kaum ein Wort von sich gab, immer dann zu großer Form auflief, wenn er mit seinen Kumpels zusammensaß. Da war er beliebt - für die Geschichten, die er erzählte, aber auch für die Tipps und Hilfestellungen, die er anderen gab. Nur sich selbst hat er eigentlich nie geholfen.
Die Ehe meiner Eltern war und ist halt eine Katastrophe - bis zum heutigen Tag. Aber irgendetwas, davon bin ich überzeugt, verbindet meine Eltern eben doch. Und im Übrigen ist die Art, wie die beiden miteinander umgehen, keineswegs ungewöhnlich. Bei den meisten Freunden, Verwandten und Bekannten ist es genauso. Große Liebesgeschichten gibt es nun einmal bei Leuten wie uns nicht.
Das Schlimmste im Leben meines alten Herrn war der
Weitere Kostenlose Bücher