Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt
Anführer habe sich in einem Anfall höchster Selbstverleugnung sogar verbrannt, um das Augenmerk auf die ungerechtfertigten Angriffe gegen die Universelle Vereinigungskirche zu lenken. Das habe sich übrigens in Ottawa zugetragen – hätte sie vielleicht davon schon etwas gehört?
Kiersten ließ Beckers Fangfrage unbeantwortet und nutzte die ent-stehende Pause damit, der Bestätigung ihrer schlimmsten Befürchtungen ins Auge zu schauen. Denn der eigentliche Zweck dieser heuchlerischen Suada war ihr schon nach wenigen Minuten aufge-gangen: Sie war in den Besitz kompromittierender Informationen über Miguel D'Altamiranda und seine Sekte gelangt, und wenn sie sie öffentlich verbreitete, würde sie Sandrine nicht wiedersehen.
Punktum!
»Nehmen wir mal für einen Augenblick an, ich sei befugt, Schweigen zu bewahren«, entgegnete sie. »Und Ihnen würde es gelingen, die wohlbehaltene Rückkehr meiner Tochter auszuhandeln. So weit, so gut. Aber wie wollen Sie Ihre fanatischen Freunde dazu bringen, mir ihr Vertrauen zu schenken? Sie räumen ja selbst ein, dass sie am 359
Rande des Wahnsinns stehen.«
»Sie täuschen sich da, einmal mehr. Niemand versucht, Sie an der Verbreitung so genannter ›Informationen‹ zu hindern. Davor haben wir keine Angst – wir sind inzwischen an Verleumdungen gewöhnt.
Meine Unterhaltung mit Ihnen dient einem ganz anderen Zweck.
Nach allem, was man mir sagte, fürchten jene, die Sie ganz zu Unrecht meine ›Freunde‹ nennen, dass die Medien die Bedeutung der Großen Versammlung dazu nutzen wollen, um einen Skandal heraufzubeschwören und eine Verleumdungskampagne auszulösen. Die nehmen doch auf nichts Rücksicht, um einen Wirbel zu machen!
Aber die Botschaft der Fünften Offenbarung El Guías ist ein Welt-ereignis, ein geradezu mystisches Erlebnis für alle Mitglieder der Mirandistengemeinschaft. Diese Botschaft muss mit Würde und Sammlung aufgenommen werden. In diesem Sinne möchte ich Ihnen einen Aufschub von wenigen Tagen vorschlagen. Sie müssen doch zugeben, dass das nicht unzumutbar ist!«
»Und was ist nach dieser sagenhaften Großen Versammlung?«
»Dann wird sich alles geändert haben. Die Allmacht des Wortes wird sich auf strahlende Weise bestätigen. El Guía Supremo wird seine Verleumder beschämen und die Wahrheit wiederherstellen.
Ihr Vater ist doch ein hoher Richter am kanadischen Obersten Gerichtshof, nicht wahr? Ich bin überzeugt davon, dass er als Erster bestätigen wird, dass es zwei Arten der Gerechtigkeit nebeneinander gibt…«
Jean-Louis' kühle Haltung war dem Feuer gewichen, als er sich der Gestalt des mythischen Miguel D'Altamiranda zugewandt hatte.
Die vorher kalten Augen leuchteten jetzt. Die schmalen Lippen hatten sich geöffnet – ein ekstatischer Ausdruck lag auf seinen Zü-
gen. Kiersten betrachtete ihn aufmerksam, war jedoch bemüht, ihre Verblüffung nicht spüren zu lassen. »Er ist besessen!«, dachte sie.
»Und ich muss verrückt sein, mir von ihm etwas zu erhoffen!«
Plötzlich zuckte er heftig zusammen, und sein Gesicht verwan-360
delte sich in eine Grimasse des Hasses. Verdutzt folgte sie der Richtung seines Blicks.
Lydia Frescobaldi durchquerte das Restaurant. Im Vorbeigehen nahm sie einen leeren Stuhl mit und stellte ihn an den Tisch. Sie setzte sich breitbeinig darauf und stütze ihre Ellbogen auf die Tischplatte.
»Buona Sera!«, grüßte sie mit breitem Lächeln.
Becker wandte sich bleich vor Zorn Kiersten zu und beschuldigte sie der Hinterhältigkeit. Er fuhr damit jedoch nicht fort, als er erkannte, dass sie nicht weniger überrascht war als er selbst. Denn ihr erschreckter Blick machte deutlich, dass sie sich fragte, ob das Auftauchen der Italienerin nicht ihre Bemühungen um die Rettung ihrer Tochter vereitle.
»Sie haben da einen netten Ausdruck im Französischen«, sagte Lydia temperamentvoll. »Dahergeschwommen kommen wie das Haar auf der Suppe. Ja, ich bin es mit Haut und Haar! Und bei uns sagt man dazu auch noch, das passe wie die Faust aufs Auge.«
Kiersten wollte ihr antworten, doch Jean-Louis kam ihr zuvor.
»Sie haben hier nichts zu schaffen!«, fuhr er sie mit zusammengebissenen Zähnen an. »Verschwinden Sie! Wenn Sie glauben, der Dame hier einen Dienst erweisen zu können, sind Sie schwer im Irrtum!«
»Inspektor MacMillan kommt sehr gut allein zurecht! Sie sind sauer, weil ich mich zu Ihrem trauten Gespräch unter vier Augen eingeladen habe? Warten Sie doch mal erst meine Begründung ab!«
»Ich bin
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