Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt
Augenblick den Kopf neigte, um seine Pfeife anzuzünden.
»Was erwartest du von mir?«, fragte er und lehnte sich in seinem Sessel zurück. Nach Honig und Bryèreholz duftende weiße Wölk-chen begannen ihn einzuhüllen.
»Nun … vor allem möchte ich gerne wissen, was du von all dem hältst!«
»Ich mache mir eine ganze Menge Gedanken darüber, aber ich möchte nicht deine Zeit verschwenden. Du bist ja sicher auch nicht extra hergekommen, nur um meinen Kommentar dazu zu hören.
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Also, Kiersten?«
»Du hast Recht, ich sollte nicht lange herumreden …«
Sie zog ein mit einem Teleobjektiv aufgenommenes Foto aus ihrer Tasche, das zwei Männer zeigte, die sich im Flughafen von Zürich am Tischchen einer Cafeteria gegenübersaßen. Ihr Vater klappte seine Halbbrille auseinander, prüfte erst, ob die Gläser auch sauber waren, und setzte die Brille mit einer Kopfbewegung auf, die ganz typisch für ihn war. »Es ist wirklich schlimm«, dachte Kiersten, »alles, was er macht, regt mich auf!«
»John Murdstone«, murmelte der Richter, nachdem er einen Blick auf das Foto geworfen hatte.
»Wir haben das von Interpol bekommen … Die Überwachung galt auch nicht dem Senator, sondern seinem Gegenüber, einem Türken namens Farik Kemal. Er wurde von einem Gericht in Ankara zum Tode verurteilt und dann unter sehr merkwürdigen Um-ständen begnadigt. Seltsamerweise hatte ich das Gefühl, dem Namen schon einmal begegnet zu sein … Ich fand ihn dann in der Liste der Hauptverdächtigen für den Anschlag auf den Papst 1981.«
»Ein recht ausgefallener Lebensweg«, meinte der Richter mit zwei-felndem Unterton. »Aber warum sollen wir über ihn reden, wo du doch sicher wegen Murdstone gekommen bist… Muss ich davon ausgehen, dass du einen Zusammenhang siehst zwischen dem Senator und diesen … diesen Erinnerungsfilmen? Wie hast du sie noch einmal genannt?«
»Wir bezeichnen sie als Snuffs. Ja, einen unmittelbareren Zusammenhang kann man sich eigentlich kaum vorstellen. Farik Kemal ist wahrscheinlich im internationalen Vergleich der größte Lieferant solcher Snuffs. Er arbeitet allein und ist außerordentlich umsichtig.
Trotzdem ist er nur der Vermittler zwischen den Herstellern und den Abnehmern. Wir sind vor allem daran interessiert, an seine Be-zugsquellen heranzukommen.«
»Aber ihr interessiert euch, wie ich sehe, auch für die Abneh-51
mer …«
Kiersten war nun äußerst angespannt; der Verlauf, den diese Unterhaltung nahm, missfiel ihr. Warum war ihr Vater nicht überraschter, nicht empörter gewesen, als er festgestellt hatte, dass Murdstone in diese Geschichte verwickelt war?
»Wir haben einen Beleg für diese Geschäftsbeziehung«, sagte sie trocken. »Der Senator hat an Kemal zwölftausend Dollar bezahlt als Gegenwert für ein Snuff.«
»Bist du da ganz sicher?« Ein Schatten überzog den Blick der grauen Augen.
Sie musste sich Mühe geben, ihre Verzweiflung zu meistern. Na-türlich war sie sich sicher! Das Einzige, woran sie zweifelte, war das Verständnis des Richters MacMillan dafür, dass seine Tochter den Stellvertretenden Inspektor Boniface dazu ermächtigt hatte, dem Haus des Senators Murdstone in dessen Abwesenheit ohne vorherige Durchsuchungsbewilligung einen Besuch abzustatten (wenn er davon erst einmal erfuhr).
»Die Schweizer Polizei hat ohne sein Wissen das Gepäck des Senators durchsucht«, spielte sie Vabanque. »Sie haben klammheim-lich eine Kopie von diesem Snuff gemacht und das Original wieder zurückgelegt. Es gibt Anzeichen dafür, dass das Video in Bulgarien gedreht wurde. Ein etwa zwanzigjähriges Mädchen in den Händen von einem halben Dutzend Bestien. Als sie einen von ihnen bei ihrer Gegenwehr gebissen hat, haben sie ihr die Zähne mit Zangen ausgebrochen. Drei Halbwüchsige haben sie schließlich…«
»Erspare mir bitte die Details«, unterbrach er sie streng. »Ich habe durchaus begriffen – dein Bericht war ja eindeutig. Im Zweifel bin ich allein, was deine Motive betrifft… Du wirst mir ja nicht diese Informationen über Murdstone einzig zu meiner persönlichen Er-bauung anvertrauen …«
Sie zog aus ihrer Mappe einen aufwändig gestalteten Katalog auf Kunstdruckpapier mit anschaulichen Illustrationen hervor. Darin 52
waren die Snuffs nach Kategorien aufgelistet. Jedem Angebot war eine Beschreibung beigefügt, die an Zynismus nicht zu übertreffen war. Die Preise waren jeweils in US-Dollar, Yen, Pfund Sterling und D-Mark angegeben. Die billigsten Titel lagen bei
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