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Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt

Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt

Titel: Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fuenfte Offenbarung
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persönlichen Dinge ihrer Mutter finden würde, versetzte sie in eine ihr unangenehme Erregung – unangenehm allein schon deshalb, weil sie im Widerspruch stand zu der sonst von ihr durch-gehaltenen Beherrschung ihrer Seelenzustände.
    Kiersten hob ihre Augen von der Zitronencremetorte, einem Meisterstück Mrs. Crichtons, und beobachtete verstohlen ihren Vater. Er hatte weder seinen Krawattenknoten gelockert noch etwa gar sein Jackett ausgezogen (das tat er nicht einmal, wenn er allein speiste). Er widmete sich seinem Dessert, als sei sie gar nicht da.
    Sein Besteck handhabte er mit der Präzision eines Chirurgen, und er kaute jeden Bissen so langsam, dass sie sich beherrschen musste, ihn nicht anzufahren mit einem »Nun mach doch mal voran!«
    Dabei musste sie sehr wohl anerkennen, dass dieser so ruhig wirkende Vater sich als einer der fortschrittlichsten Köpfe des kanadischen Justizwesens erwiesen hatte, und dass seine Stellungnahmen und Entscheidungsbegründungen vor dem Obersten Gerichtshof stets mit einem heftigen Beschuss von ultrakonservativer Seite rechnen konnten. Aber wenn er auch nicht wenige Gegner hatte, so doch kaum wirkliche Feinde: Selbst seine heftigsten Kritiker waren sich einig in der Anerkennung seines scharfen Intellekts und seiner Rechtschaffenheit.
    Dennoch wollte es Kiersten, ohne dass sie sich das hätte erklären 48

    können, nicht so recht gelingen, die widersprüchlichen Züge ihres Vaters miteinander in Einklang zu bringen. Für sie schienen in William MacMillan die gegensätzlichen Persönlichkeiten eines Dr. Je-kyll und Mr. Hyde zu stecken. Als Richter vertrat er fortschrittlichstes Gedankengut, als Privatmensch ließ er sich die abwegigsten Be-gründungen dafür einfallen, dass zum Beispiel auch nicht um ein Jota vom Zeremoniell der morgendlichen Teezubereitung abgewi-chen werden durfte. Kurz, sie beschuldigte ihn unbewusst, eine Rolle zu spielen, eine Inszenierung von sich selbst zur Schau zu tragen. Dennoch hatte sie grundsätzlich nie die Bedeutung der Werte in Frage gestellt, die sein Verhalten sowohl als Vater als auch als Richter bestimmten – niemals, bis zu diesem Abend!
    Sie standen vom Tisch auf, und Kiersten griff nach der ledernen Aktenmappe, die sie vorher beiseite gelegt hatte.
    Sie gingen in die Bibliothek, den gemütlichsten Raum des ganzen Hauses mit seinen tiefen Sesseln, der gedämpften Beleuchtung und einem Kamin mit einer Verblendung aus dunklem Eichenholz und einem alten Spiegel darüber, dessen unregelmäßig getrübtes Glas das Abbild der realen Welt mehr verzerrte als wiedergab. Bevor sie gegangen war, hatte Mrs. Crichton noch drei dicke Buchenscheite im Kamin angezündet. Auf einem niederen Tisch stand in einer kleinen Zinnvase eine rote Rose neben einem Foto von Gwendolyn.
    An der Wand hing ein Bild von Sandrine bei ihrer Erstkommu-nion, und Kiersten glaubte den Blick ihrer Tochter im Nacken zu spüren.
    Sie schloss für einen kurzen Moment die Augen, um ihre Gedanken zu sammeln, und versuchte dann eine Zusammenfassung dessen, was sie in der Woche vorher den Regierungsvertretern vorgetragen hatte. Sie bemühte sich dabei um die gleiche kühle Sach-lichkeit, doch es wollte ihr nicht gelingen. Die intimere Umgebung, 49

    der Geruch des schwarzen Kaffees, ihre Sorge, sich zu verraten, und die gespannte Aufmerksamkeit ihres Vaters, der sich schweigend eine Pfeife stopfte, trugen dazu bei, sie zu verunsichern.
    Im Gegensatz zu Doug Murphy und Paul Bourdages hörte MacMil an seiner Tochter ohne jede Unterbrechung zu und schaute sie, als sie geendet hatte, fest an. Sie hielt seinem intensiven Blick stand und fragte sich dabei, wieso sie immer wieder die Farbe seiner Augen vergaß, um dann mit der immer gleichen Überraschung festzustellen, dass sie aschgrau waren. Aber unter dieser grauen Asche glomm das Feuer …
    »Diese Filme, diese ›Drogen-Videos‹ – hast du die gesehen?«
    »Wieso … aber natürlich!«
    »Bis zum Ende?«
    »Es blieb mir nichts anderes übrig!«
    Der Richter beugte sich vor und legte seine Hand auf die ihre.
    Eine Berührung für nur wenige Sekunden – und doch wie eine Ewigkeit.
    »Mein armes Kleines«, sagte er leise.
    Sie zuckte zusammen, aber die Rührung, die sie überkam, wandelte sich rasch zu einem Anflug von Misstrauen. Wie viele Jahre lang hatte er sie nicht mehr ›mein Kleines‹ genannt? Wieso gerade jetzt dieser Ausbruch von Zärtlichkeit? Sie fühlte, wie ihr die Röte in die Wangen stieg und war froh, dass er in diesem

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