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Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt

Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt

Titel: Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fuenfte Offenbarung
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schaute sie ungläubig an. Trieb sie ein Spiel mit ihm? Vor einer halben Stunde hatte Teresa Lagerstein vorgeschlagen, ihre Organisation und Harmonices Mundi sollten sich zusammentun, um gemeinsam Licht in die Affäre um Boudjenah zu bringen. In diesem Sinne sollte ein Gespräch stattfinden zwischen Frau Dr. Descombes und einem erfahrenen Psychiater, mit dem die ›Résidence Victor‹ gelegentlich zusammenarbeitete, wenn sie an einer Stellungnahme in besonders delikaten Fällen interessiert war.
    Antoine hatte diesen Vorschlag begrüßt (ohne zu erwähnen, dass er sich darauf mit Teresa Lagerstein schon am Abend vorher geeinigt hatte). Laurence hatte, etwas zögerlich, um Bedenkzeit gebeten.
    War es unter diesen Umständen überhaupt vorstellbar, dass sie den Namen dieses bekannten Fjodor Gregorowitsch völlig vergessen ha-77

    ben sollte?
    »Ich kenne ihn nicht persönlich«, sagte er. »Aber Teresa hält außerordentlich viel von ihm. Er scheint ein sehr ungewöhnlicher Mensch zu sein und besteht darauf, dass ein erstes Gespräch immer unter freiem Himmel und an einem öffentlich zugänglichen Ort stattfinden müsse. Das ist jemand, der wirklich aus dem Rahmen fällt.«
    Er verstummte und dachte ein weiteres Mal, dass er zu viel rede.
    Wie um ihn zu bestätigen, legte Laurence ihre Hand auf den Türgriff.
    »Ich treffe Sie dann im Büro«, sagte sie dabei, ohne ihn anzublicken. »Ich muss ein bisschen herumlaufen und für mich sein. Bitte treffen Sie keine Vereinbarungen ohne meine Zustimmung …«
    »Aber gewiss… sicher!«, meinte er und legte ihr die Hand auf den Arm. »Sagen Sie mir, bevor Sie jetzt gehen, nur noch … Es ist mir sehr peinlich, aber ich muss Sie das einfach fragen, um Klarheit zu schaffen: Hatten Sie ein Verhältnis mit Oberst Sheba?«
    Sie wandte ihm langsam den Kopf zu und schaute ihn aus schmalen Augen an. Er konnte ein Gefühl von Beschämung nicht unterdrücken. Es war wie ein Verweis, eine Zurechtweisung, wie sie ihm selten zustieß.
    »Verzeihen Sie mir, Laurence! Meine Frage war unmöglich formuliert…«
    »Sie hätten mich vielleicht besser fragen sollen, ob ich im Bett mit ihm war«, sagte sie in einem Ton, der nicht klar erkennen ließ, ob er ironisch oder sachlich sein sollte. »Selbst dann hätte meine Antwort nicht eindeutig sein können, denn in der Horizontale bediente sich Sheba meiner fast nie.«
    »Es tut mir Leid«, murmelte er.
    Er suchte noch, dem etwas hinzuzufügen, aber schon war sie aus-gestiegen, schon entfernte sie sich, schon war ihre schmale Silhouette ein einziger Vorwurf an ihn.
    78

    Laurence schlenderte durch die Tuilerien und stellte erleichtert fest, dass der Park fast menschenleer war. Sie musste sich an einen Baum-stamm lehnen, mit ihren Handflächen dessen raue Rinde spüren, die Augen schließen und sich dann in die Äste dort oben denken, ihnen himmelwärts die Arme entgegenrecken und sich wie die Blätter wiegen lassen von der sanften Brise.
    Sie sah sich wieder in diesem kalten Raum mit seinen Wänden aus Stein, dessen Spitzbogenfenster verschlossen worden waren mit dicken Holzbohlen.
    Von der hohen Decke baumelte eine nackte Glühbirne und warf trübes Licht auf den langen, schweren Tisch, die beiden Stühle, die drei Aktenschränke aus Metall und den Boden aus abgenutzten Steinplatten, auf dem bräunliche Flecken zu sehen waren.
    Sie war lange verhört worden von einem schon älteren, wortkargen Offizier, der nach Schweiß und Zwiebeln roch und sie kein einziges Mal direkt angeblickt hatte. Sie hatte den Eindruck, dass ihre Antworten ihn nicht im mindesten interessierten, obwohl er sie sich säuberlich in einem Heft mit Eselsohren notierte.
    In Rhages hatte sie vom ›Kloster‹ schon gehört; es war der gängige Ausdruck für das Hauptquartier der Rebellentruppen des Oberst Sheba. Woher diese Bezeichnung kam, wurde ihr klar, als sie scharf bewacht in diese ehemalige Abtei in Maghrabi gebracht worden war. Die Befreiungsarmee hatte diesen Ort unmittelbar nach Ausbruch des Bürgerkriegs besetzt – ein Krieg, in dem sich seit nunmehr bereits zwei Jahren die christlichen und die mo-hammedanischen Bewohner Farghestans gegenseitig abschlachteten. Die ehemaligen Mönchszellen waren umgewandelt worden in Büros, die Räume für die Novizen in Kerker, die Keller im Untergeschoss in Gefängnisse für widerspenstige Gefangene. Die alte Kapelle, mit ihren Mosaiken und Reliefs einst eine Sehenswürdigkeit für Touristen, hatte man mit Wasser und

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