Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt
suchte. Das war eigentlich ein gutes Zeichen: Er wusste, was er hier zu erwarten hatte. Ansonsten: eine Rolex-Uhr, Gucci-Schuhe, schweres Goldarmband, Maßhemd – kein Wunder, dass er die stattliche Summe hatte hinblättern können.
Der Stellvertretende Inspektor Julien Boniface hatte keine Mühe und keinen Aufwand gescheut, ihren prüfenden Blicken standhalten zu können. Bisher war alles gut gegangen. Seine Aufnahme in diesen Zirkel war problemlos verlaufen, und das war ja schon mal etwas.
Die Stimmung entsprach nicht dem, was er sich vorgestellt hatte.
Nichts Schmutzigdüsteres, weder Masken noch Kapuzen. Die Unterhaltung beschränkte sich auf Alltägliches; man war hier einfach unter netten Leuten. Als Hintergrundmusik erklang Bachs berühm-220
tes Brandenburgisches Konzert in D-Dur.
Eine Versammlung von Chorknaben war es natürlich auch wieder nicht. Auf einem kleinen, niedrigen Lacktischchen fand sich neben Brezeln, gerösteten Mandeln und edlen Salzstangen auch ein reiches Sortiment an Haschisch, Kokain, Marihuana und kleinen, rosaroten Pillen … Die Ansammlung hätte gereicht, um den Senator für einige Monate ins Reich der Träume zu schicken … Zagiewicz hatte eine Prise genommen und hob die Hand in Erwartung eines Niesens, das jedoch nicht kommen wollte.
Auf dem Bildschirm des Fernsehers in einer Ecke des Raumes sah man gerade, wie ein Seemann zwei Nutten in den Eingang eines Stundenhotels schubste. Ein harter Porno, vermutlich aus den Nie-derlanden oder aus Norwegen. Der Ton war heruntergedreht –
wurde der Film deswegen kaum beachtet, oder lag es daran, dass man sich dabei sozusagen erst wie bei der Vorspeise fühlte? Julien hatte ein Gefühl der Unwirklichkeit, während er aus den Augenwinkeln die Attacken des unermüdlichen Seemanns verfolgte (begleitet von den Melodien Johann Sebastian Bachs).
Der von ihm mitgebrachte braune Umschlag mit seiner Teilneh-mergebühr war von der Anrichte verschwunden. Murdstone hatte ihn in Gedanken an seinen Aufenthalt mit Farik Kemal bei Mamma Teresa sicher verwahrt. (Julien hatte die Bestätigung dafür erhalten, dass der Türke gegen Abend in Ottawa eingetroffen und im Hotel ›Château Laurier‹ in der Nobeletage abgestiegen war. Dort wurde er von Saltaniwsky mit Unterstützung durch den Sicherheitsdienst des Hauses diskret überwacht. An dieser Front war also alles unter Kontrolle.)
Bernard Fourbes erzählte gerade Tokugawa Hideyoshi, dass er aufregende Tage hinter sich habe. Seine sechzehnjährige Tochter habe an einem Überlebenstraining im Norden des Gatineau-Natur-parks teilgenommen. Ihre Gruppe hätte sich im Wald verirrt und dort zwei Tage und zwei Nächte verbringen müssen. Ein Armee-221
hubschrauber habe sie schließlich entdeckt – dreiundvierzig Kilometer vom Ort ihres Aufbruchs entfernt, könne er sich das vorstellen? Die jungen Leute seien schließlich mit schrecklichem Muskel-kater, Blasen an den Füßen und von Mücken zerstochen davongekommen. Aber was für ein Abenteuer!
Murdstone hatte sich erhoben und die Vorhänge zugezogen vor dem eindrucksvollen Ausblick aus seinem Adlerhorst: auf die drei Parlamentsgebäude, das Kunstmuseum und dahinter die sanften Hügel des Landes am Ottawa. Dann zündete er sieben Kerzen an und löschte das Licht. Die Stimmung im Raum veränderte sich; man flüsterte jetzt nur noch. Einige erhoben sich, um ihre Sessel zurechtzurücken; Zagiewicz fragte die hinter ihm Sitzenden: »Ver-sperre ich Ihnen auch nicht die Sicht auf den Bildschirm?«
Als er Conrad Perrault einen Blick auf seine Armbanduhr werfen sah, begriff Julien, dass die Vorführung auf die Minute genau beginnen würde. Es lag etwas Zeremonielles in der Luft.
Aus einem Rosenholzkästchen entnahm der ehrenwerte Herr Senator ein in granatroten Samt gehülltes Päckchen. Er packte dessen Inhalt aus: das Snuff, das hier in den Rang eines liturgischen Objekts erhoben wurde. Er griff sich von einem Regal eine kleine Pinzette, nahm damit, mit dem Rücken zu seinen Gästen, eine nicht erkennbare Verrichtung an der Kassette vor, und schob sie dann in den Videorecorder ein. Mit der Fernbedienung in der Hand nahm er dann wieder in seinem Sessel Platz und wartete auf ein Zeichen des Generalmajors, um mit der Vorführung zu beginnen.
Auf dem Bildschirm erschien eine fensterlose, aber stark ausge-leuchtete Zelle. Darin befand sich ein gläserner Kasten, in den Be-tonboden eingelassen und außen umgeben von Metallbändern mit aufragenden scharfen
Weitere Kostenlose Bücher