Billy Elliot - I will dance
nahm eine Schallplatte aus dem Schrank und grinste mich an. Sie tippte sich an die Nase. »Ich weiß Bescheid«, sagte sie. Dann drehte sie sich um und ging nach nebenan.
»Was weißt du, Nan? Was weißt du?«, fragte ich. Ich folgte ihr ins vordere Zimmer. Sie legte eine Platte auf. »Hör zu«, sagte sie. Die Nadel kam runter, die Musik spielte.
Schwanensee. Dasselbe, was ich vor einer Stunde mit der Miss gehört hatte.
Ich starrte Nan bloß an. Woher hatte sie das gewusst? Also deshalb war mir die Musik bekannt vorgekommen. Es war eine von Mams alten Platten. Sie hatte einen ganzen Karton voller Platten, die sie ab und an mal gespielt hatte, als ich klein war. Jetzt legte sie keiner mehr auf, sie waren seit Jahren im Karton verstaut und weggepackt gewesen.
»Hast du sie auch gesehen, Nan?«, fragte ich. Aber sie war woanders. Sie bewegte sich tanzend durchs Zimmer. Ich hatte diese Bewegungen schon tausendmal gesehen, aber jetzt wusste ich, was es war. Plié. Ballett. Sie hatte als Mädchen Ballettunterricht gehabt.
»Ungefähr so«, sagte ich. Ich ging zu ihr und nahm ihre Arme und wir machten zusammen ein paar Schritte, meine Nan und ich. Es war erstaunlich. Sie war langsam und steif, aber sie wusste genau, was sie tat. Vielleicht hatte sie Recht, vielleicht war sie wirklich gut gewesen, früher, vor langer, langer Zeit. Gemeinsam tanzten wir einen langsamen Tanz, und es war wirklich ganz schön. Dann schlug die Tür auf und bevor ich mich versah, stand Tony in der Tür und Dad linste über seine Schulter. »Wer hat dir erlaubt, meinen Plattenspieler zu benutzen?«, fragte Tony.
»Der gehört nicht dir, der gehört Mam«, erwiderte ich. »Du hast keine Platten, also kannst du damit nichts anfangen«, sagte er. Er ging hin und hob die Nadel ab, so heftig, dass es kratzte.
»He, wir haben dazu getanzt«, beschwerte sich Nan. Dann mischte sich mein Dad ein. »Pass doch auf, verdammt noch mal!« Ich dachte, er brüllt mich an, aber er war wütend auf Tony, weil der Mams Platte zerkratzt hatte. »Geh gefälligst ein bisschen sorgfältiger mit den Dingen um, die dir nicht gehören«, sagte Dad zu ihm. Er nahm ihm die Platte aus der Hand und wischte sorgfältig mit dem Ärmel darüber. »Die hört doch sowieso keiner«, sagte Tony. »Und du«, sagte mein Dad zu mir. »Wer hat dir erlaubt, die Platte aufzulegen?«
»Tut mir Leid«, murmelte ich.
»Ich hätte Tänzerin werden können«, sagte Nan und machte einen kleinen Knicks. Dad wandte sich um und ließ die Tür hinter sich zuknallen. Es war schrecklich, wie Dad und Tony dauernd mit den Türen knallten. Nan tat mir furchtbar Leid, aber das spielte keine Rolle, jedenfalls nicht in dem Moment. Ich wusste, was das alles zu bedeuten hatte. Mam wollte, dass ich es versuchte. Das war’s. Und dann wusste ich, wenn Mam dachte, ich sollte es versuchen, dann war es vielleicht nicht bloß ein bescheuerter Traum. Vielleicht könnte es wirklich wahr werden.
Andererseits – vielleicht war ich auch drauf und dran durchzudrehen, so wie Nan. Aber egal, ich beschloss es mit aller Macht zu versuchen. Ich würde mein Bestes geben. Das Vortanzen war am nächsten Morgen um halb zehn, und ich war bereit, alles zu geben – für mich und für Mam. Freitagnachmittag nach der Schule ging ich zum letzten Training, und alles lief perfekt. Ich war bereit. Und dann, als ich nach Hause ging, war eine scheiß Schlacht im Gange.
Tony
Es war ganz allein meine Schuld, weil ich dem Gaul Feuer unterm Arsch gemacht habe.
Das Pferd hat mir nicht Leid getan. Ich weiß, es ist einfach nur ein Tier, es kann nichts dafür, dass die Bullen es als Angriffswaffe benutzen. Aber denk mal vierhundert Jahre zurück, stell dir vor, du bist ein Bauer und einer von diesen Rittern kommt in seiner Glitzerrüstung auf so einem gewaltigen scheiß Ross auf dich zu, und die Frage ist, lässt du dir von ihm den Kopf abschlagen oder hackst du mit deinem Spaten dem Pferd in die Vorderbeine – was würdest du tun? So was ist doch kein scheiß Wettkampf, oder?
Also. Das Pferd war eben auf der anderen Seite, wie auch immer. Es war der verdammte Feind. Jedenfalls waren das nicht bloß irgendwelche Pferde. Das eine zum Beispiel war gar nicht doof, ein richtiges Mistvieh war das. Es trippelte immer seitwärts in die Menge rein und trat den Leuten auf die Füße und schlug aus. Da kannst du jeden fragen. Irgendwann hätte es einen voll erwischt. Das Pferd und der scheiß Bulle obendrauf waren gut
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