Bin Ich Schon Erleuchtet
Ecken, in die das Gehirn manchmal schleicht, wenn man etwas will. Ich habe über das Dharma nachgedacht. Das Ausbeuter-Dharma. Wir sollen die Welt so akzeptieren, wie sie ist, schön und gut. Aber dann ist es vielleicht nicht so schlimm, eine Handtasche von potentiell finsterer Herkunft zu besitzen? Jessica sagt, dass ist ein bisschen weit hergeholt, ABER sie hat auch gesagt, dass es schon stimmt – Ausbeuterbetriebe sind ein Teil des Lebens, und die Leute in diesen Betrieben haben ihr eigenes Karma und Dharma und so weiter, wie wir auch. Das Dharma macht nicht vor der Tür der Sweatshops halt.
Marcy drückt es gelegentlich so aus: Alles ist perfekt eingerichtet . In Indien, sagt sie, singen die Menschen in den Slums. In dieser Welt gibt es genau das richtige Maß an Glück und genau das richtige Maß an Leid.
Ich starrte bei diesem Sermon auf ihre riesigen Diamantklunker und dachte nur: Es gibt aber auch ein Übermaß an Schwachsinn.
Hmm. Tja, Mist. Ich will keine Marcy sein, deshalb sollte ich mir das möglichst schnell aus dem Kopf schlagen. Wir brauchen was zu essen.
Ich will nichts. Ich brauche nichts. Ich bin frei von allen Begierden.
Ach, aber wir wollen Luxus. Ich brauche Luxus.
5. April
Huuhhh, wir stecken in Schwierigkeiten. Großen Schwierigkeiten. Ich will es gar nicht hinschreiben. Jessica und ich haben gestern Abend nach dem Shoppen etwas sehr Schlimmes gemacht.
Wir saßen also im Casa Luna und erfanden abwechselnd Songs über die Einkäufe des Tages. Wie üblich waren wir von spirituellen Touristen umzingelt, die Ubud überschwemmen und alle Tische in unserem Restaurant besetzen. Sie rauchten und tranken Martinis und aßen alles, worauf wir schon so lange verzichtet haben: cholesterinreiche Steaks, Shrimps in einer widerlich süßen Sauce. In balinesischem Reiswein mariniertes Schweinefleisch. Wir hatten inzwischen unseren Reis mit Grünzeug gefuttert und ich war ziemlich stolz auf meine Fähigkeit, von meiner Handtasche losgelöst zu sein. Mir taten diese armen Touristen auf einmal leid – mir waren ihre Irrungen und Wirrungen so vertraut. Schließlich war ich einst eine von ihnen gewesen. Noch vor zwei Wochen hatte ich mich nach denselben weltlichen Genüssen verzehrt, zum Beispiel nach Essen, das gut schmeckt. Nach Zigaretten und Cocktails.
Doch dann fiel mein Blick auf unseren Nebentisch. Eine Brünette und eine Blonde, wie wir, nur trugen diese beiden phantastische Designerklamotten. Fließende Seidensarongs mit passenden Neckholder-Bustiers, die ihre atemberaubend nahtlose Bräune wunderbar zur Geltung brachten. Glitzernder Schmuck überall: diamantene Nasenstecker, Diamantringe an der rechten Hand. Sie sahen aus, als würden sie ihre Vormittage beim Yoga und ihre Nachmittage in der Wellnessoase verbringen. Unsere Einkäufe sahen im Vergleich zu ihren nach billiger Handarbeit aus. Ich wünschte mir, ich hätte die Tasche gekauft.
Ich will nichts. Ich brauche nichts. Ich bin frei von allen Begierden.
Das wollte ich gerade Jessica mitteilen, da sah ich, dass sie wie versteinert auf die Speisekarte starrte. Der Blick, mit dem sie mich anschließend bedachte, war der einer Wahnsinnigen. »Oh, Suzanne!«
»Was?«
»Oh, das ist schlimm, schlimm, schlimm!«
»Was denn?«
»Ein Milkshake!«, flüsterte sie, kieksend vor Aufregung. »Kokosnuss. Vanille. Milkshake!« Und dann kicherte sie und schüttelte den Kopf. »O nein, nein, nein .«
Ich sah sie an, ohne zu lächeln, ohne in ihr Gekicher einzustimmen. »Den müssen wir haben.«
»Nein!«, rief sie, »das können wir nicht!«
»Können wir nicht?« Plötzlich wollte ich diesen Milkshake mehr als alles, was ich mir je im Leben gewünscht hatte, einschließlich der Erleuchtung.
In Jessicas Gelächter mischte sich ein Anflug von Panik. »Aber, Suzanne, er ist voller Zucker! Süße! Anhaftung! Milkshakes sind schlecht! «
Meiner Meinung nach war das hier ein Wellnessshake. Er bestand wahrscheinlich aus frischer Vanille und frischer Kokosnuss, vermutlich direkt von den Bäumen draußen. Zu Hause würden sie ihn im Bioladen für zwölf Dollar den Becher verkaufen. Das versuchte ich Jessica zu erläutern, aber sie blieb skeptisch. »Komm schon, Jess. Man lebt nur einmal.«
Ups. Jessica starrte mich an, als hätte ich einen Sprung in der Schüssel. Ich ruderte zurück. »Bis zum nächsten Leben, meine ich.«
Zehn Minuten später stand er vor uns.
Es war kein simpler Milkshake – das erkannte ich an dem kleinen Heiligenschein, der
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