Binding, Tim
das Erste,
was mir einfiel.
»Toblerone.«
»Toblerone!« Sie hob eine Hand vor den Mund, lachte.
Ich presste einen Moment die Augen zu. Jetzt hast du den
Salat. Lass dir was einfallen, Alter. »Ja. Wir verteilen sie an Familien und
Kinder, wenn sie wieder nach Hause fahren. Das ist so eine Werbeaktion. Im
Rahmen der Tourismusinitiative von Dorsetshire.«
»Wir?« Sie warf einen Blick auf das Tretboot und Michaelas
Hut und ihren langen braunen Rücken, der auf dem Wasser auf und ab tanzte.
»Zusammen mit meiner Tochter Carol«, sagte ich. »Ist extra
den weiten Weg aus Sydney, Australien, angereist, um ihrem alten Herrn zu
helfen, wieder auf die Beine zu kommen.«
»Ihre Tochter. Das muss wunderbar für Sie sein.« In ihrer
Stimme lag Erleichterung. Wir standen da, wussten nicht, was wir sagen sollten.
»Na, ich will Sie beide nicht weiter aufhalten. Sonst schmilzt noch alles.«
»Das wird es nicht. Das ist eine Kühlbox. Ich könnte die
Schokolade den ganzen Tag hier draußen lassen, wenn ich Grund dazu hätte.«
»Ja, natürlich.« Es entstand wieder eine Pause. Keiner von
uns beiden wollte gehen.
»Wo wohnen Sie, wenn ich fragen darf?«
Sie antwortete wie aus der Pistole geschossen. »Auf der
Albion Road, Pension Strangeways, genau wie das Gefängnis von Manchester.«
Jetzt musste ich lächeln.
»Ich weiß«, sagte sie, »aber wie hätte ich bei dem Namen
widerstehen können?« Sie beugte sich ein wenig vor, als wollte sie mir etwas
anvertrauen. »Ist nicht besonders schön da.«
»Wundert mich nicht. Vielleicht kann ich Sie ja für einen
Abend loseisen. Sie mal richtig feudal zum Essen ausführen. Ihnen meine
Skulpturen zeigen.«
»Das würde mir den Urlaub versüßen, Al.«
»Also abgemacht. Noch vor Ende der Woche. Haben Sie ein
Handy?«
»Ja. Haben Sie was zu schreiben dabei? Ah, ich hab eine
Idee.« Sie bückte sich, kramte in ihrer Umhängetasche, holte einen Lippenstift
hervor. »Hier. Ich schreib Ihnen die Nummer auf den Arm.«
Sie nahm mein Handgelenk, hielt es ruhig, schrieb ihre
Nummer auf die blasse Unterseite. Abgesehen von dem flüchtigen Kuss eben hatte
sie mich vorher nie berührt. Das dürfen Lehrer im Gefängnis nicht. Manchmal,
wenn sie im Unterricht dicht bei mir stand, mir über die Schulter schaute, mit
dem Finger über das fuhr, was ich gezeichnet hatte, ihr Hals ganz nahe und
nach Parfüm duftend, hätte ich sie gern, na ja, berührt, meine Hand auf ihre gelegt,
aber ich verkniff es mir jedes Mal. Das hätte für mich das Ende des Kunstkurses
bedeutet, und der Kunstkurs war das Beste am Knast. Jetzt war sie wieder ganz
nahe, noch dazu in einem gepunkteten Bikini, nicht in einem von diesen
schlabbrigen Pullovern, die sie immer trug, damit wir nicht sehen konnten, was
sie zu bieten hatte, was uns allen durch den Kopf ging, was wir alle sehen wollten.
Jetzt hatte ich alles direkt vor Augen, als wäre sie extra an diesen kleinen
Strand gekommen, als hätte sie auf mich gewartet, die ganze Zeit schon. Ich
konnte spüren, wie mein Herz pochte, wie das ein Herz so macht, wenn es einen
richtig erwischt hat. Liebe. Großer Gott. Wenn sie wüsste. Wüsste, wie ich
wirklich war.
Ich starrte auf die verschmierten roten Ziffern.
»Ich melde mich«, sagte ich. »Es sei denn, ich fall ins
Wasser und Ihre Nummer wird abgewaschen.«
Ich berührte ihre Schulter, gab ihr einen Kuss auf die
Wange, nicht weit oben, wo er nicht zählt, sondern dicht neben die Lippen. Ich
konnte spüren, dass ihr Gesicht sich drehen wollte, dass ihr Mund sich öffnen,
mich aufnehmen wollte. Meine Hand drückte ihre Schulter fester, als wir uns
voneinander lösten.
»Das ist Lippenstift, Al«, sagte sie. »Der wird andauernd
nass.«
Zurück am Tretboot verstaute ich Mutter Teresa auf dem
einen Rücksitz und sprang an Bord. »Wer war das?«, fragte Michaela.
»Bloß irgendeine einsame Tussi, die ein Auge auf mich
geworfen hat. Passiert alle naselang, hier in der Gegend.«
Wir strampelten los. Michaela holte das haiverseuchte
T-Shirt hervor und warf es ins Meer.
»Audrey hatte recht«, sagte sie. »Du bist widerlich.«
ELF
A ls wir zum Bootsverleih
zurückkamen, war ich ziemlich verstimmt. Zwar hatte ich noch die zweite Skulptur
im Bungalow, aber wenn meine erste nicht geklaut worden wäre, hätte ich richtig
was zum Vorzeigen gehabt für Miss Prosser, etwas, was sie beeindruckt hätte,
was ihr bewiesen hätte, dass das nicht nur eine vorübergehende Laune war,
sondern dass ich es ernst meinte,
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