Biodiversität: Unsere wertvollste Ressource
verteilt, auf etlichen Höfen und Betrieben bewältigt wurde, bereitete auch den Weg zur heute bekannten Intensivzucht, die mit großem wissenschaftlichem Aufwand die Sorten immer weiter hin auf bestimmte Eigenschaften optimierte. Es verwundert kaum, dass Firmen wie Benary im 19. Jahrhundert bereits weltweit tätig waren. Mit der Folge einer zunehmenden Konzentration auf wenige Sorten und deren weitere Verbesserung auf wenige Eigenschaften hin. Ganz obenan standen Schädlingsresistenz, Fruchtgröße und bei Gemüsesortendie Haltbarkeit nach der Ernte. Die Frage des individuellen und vielfältigen Geschmacks etwa fiel dabei tendenziell außer Acht, es ging vielmehr um Zuverlässigkeit bei Aufwuchs und eine hohe Haltbarkeit der Früchte und damit um die Sicherung von Ernte und Umsatz.
Mit der zunehmenden Spezialisierung in der Zucht wuchs aber noch die Bedeutung einer weiteren genetischen Eigenschaft. Manche Kreuzungen von Arten tendierten und tendieren in den direkt auf die Elterngeneration folgenden Generationen wieder zur Aufspaltung von Eigenschaften. Das heißt, vermeintlich schlechte Eigenschaften konnten (und können) zurückkehren. Mit der Konsequenz, dass zur weiteren Samengewinnung immer wieder neu gekreuzt werden musste, was für den einzelnen Landwirt oder Gärtner erhebliche Probleme mit sich brachte. Denn anstatt eigenes Saatgut aus einer Ernte zu gewinnen, musste er das Saatgut immer wieder neu vom Züchter kaufen. Da die Züchtung aufwändig ist und es viel weniger Zuchtbetriebe als Gärtnereien und landwirtschaftliche Betreibe gab und gibt, führte dies zwangsläufig zu einer massiven Reduzierung der verfügbaren Sorten, und gerade regionale Sorten, die spezielle Eigenschaften hatten und an das jeweilige Klima angepasst waren, wurden nicht mehr angebaut und gingen verloren.
Die Spezialisierung in der Pflanzenzucht hatte nach dem Zweiten Weltkrieg zur Folge, dass über Gesetze und später die EU-weiten Saatgutverordnungen die Regelungen noch weiter verschärft wurden, sodass nur speziell zugelassene Sorten gezüchtet werden durften. Ein Handel mit „alten“ Sorten, die zahlreiche Kleinbetriebe und Gärtner noch vermehrten und damit erhielten, wurde immer schwieriger, denn deren offizielle Zulassung ist für solche kleinen Betriebe viel zu teuer. Lange kämpften Gärtnereien daher gegen diese aus ihrer Sicht unzumutbare Einschränkung ihrer Arbeit. Nach mehreren Jahrzehnten der Unklarheit wurde erst 2009 durch das Europäische Parlament eineAusnahmegenehmigung für kleine Betriebe mit einem vereinfachten Genehmigungsverfahren eingerichtet. Im Juli 2012 entschied der Europäische Gerichtshof, dass solchen Betrieben der Verkauf ihres Saatgutes auch aus nicht zugelassenen Sorten erlaubt sein muss, auch bei einer großen Vielfalt im Angebot. Interessanterweise hatte nicht etwa ein kleiner Betrieb geklagt, sondern ein industrieller Großbetrieb, der die Ausnahmeregelung nicht akzeptieren wollte. Die Begründung der Ausnahme in der Verordnung liegt dabei explizit nicht in der Erhaltung von Produktionsleistung in den Sorten, sondern in der Erhaltung der genetischen Vielfalt der Arten. Die Ausnahmeregelung von 2009 ist in der deutschen Saatgutverordnung allerdings noch gar nicht umgesetzt. Auch ist der Vertrieb räumlich regional beschränkt, die Masse des vertriebenen Saatgutes liegt also weiterhin bei den Großanbietern, ganz im Sinne der Produktivität. Quantitätssicherung durch Spezialisierung gegen Qualitätssicherung durch Vielfalt, könnte man sagen.
Diese Fokussierung auf die Quantität in der Dienstleistung Nahrungsmittelproduktion durch die Natur dominiert die Landwirtschaft seit vielen Jahrzehnten. Noch in den 1950er- und 1960er-Jahren war es ungleich mühsamer als heutzutage, landwirtschaftliche Produkte herzustellen. Durch die Kombination von maschinellem Einsatz, Düngemitteln und optimiertem Saatgut haben wir es geschafft, eine enorme Effizienz in Ackerbau und Viehzucht zu entwickeln.
Wer sich das einmal bewusst machen will, auch ohne den Einsatz von Traktor, Kunstdünger und Pestizide zu berücksichtigen, dem sei ein Blick auf die Einsaat weniger Körner Weizen auf dem Balkon empfohlen: Ein Korn bringt mit etwas Pflege in Form von Wasser und ein wenig Nährstoffen zwischen zwanzig und vierzig Körner in einer Ähre (bei einer bis drei Ähren pro Pflanze) zustande, in unserer optimierten Landwirtschaft sind das bei einem Einsatz von ca. 200 Kilogramm Weizensamen pro Hektarein Ernteertrag
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