Biohacking - Gentechnik aus der Garage
dass das Bakterium nun massenhaft jenes Enzym produziert, das ein jeder Biohacker für die Polymerase-Kettenreaktion braucht, um Gene zu kopieren. „Wenn es endlich klappt, dann fühlt man sich großartig“, sagt sie, „als sei man die Größte auf der Welt.“
Die Harvard Bridge verbindet Boston mit der Nachbarstadt Cambridge. Boston ist die legendäre Metropole der irischen und italienischen Einwanderer an der amerikanischen Ostküste, heute Finanz- und Wirtschaftszentrum und Hauptstadt des Bundesstaates Massachusetts. Cambridge gegenüber ist eine Welthauptstadt der Wissenschaft und Technologie. Zwei der renommiertesten Universitäten der Welt sind hier angesiedelt. Fast so viele Jogger wie Autos überholen uns auf unserem Weg über den Fluss zu einer davon, dem Massachusetts Institute of Technology, kurz MIT. Unter uns tuckern „Duck Tour“-Amphibienbusboote voller Touristen über den Charles River, mit uns strömen Hunderte von Studenten Richtung Campus. Von der Brücke aus machen wir Fotos vom Hauptgebäude der Elite-Universität, das von der grauen Kuppel des „Great Dome“ gekrönt wird. Einmal haben Studenten bei einem der traditionellen „Hacks“ – wie intelligent ausgeklügelte Streiche hier genannt werden – ein komplettes Feuerwehrauto nach dort oben gehievt. 11 Und die Fensterfassade des ganz und gar grauen „Green Building“ rechts vom Dome, dem mit 21 Stockwerken höchsten Haus in Cambridge, wurde kürzlich von studentischen Hackern in ein riesiges Tetris-Spiel verwandelt.
Dieses Hacking, das Zweckentfremden von Technologien für andere als ursprünglich gedachte Zwecke, hat eine lange Tradition am MIT. So gelten die Modelleisenbahn-Enthusiasten, die sich dort 1946 zum Tech Model Railroad Club (TMRC) zusammenschlossen, als die ersten Computerhacker der Geschichte. In „Haus 20“ pflegten und perfektionierten diese Tüftler auf 80 Quadratmetern ein schier unendliches Streckennetz. Ständig mit dem Problem beschäftigt, die Signale und Weichen steuern zu müssen, stürzten sie sich Ende der 50er Jahre begeistert in die ersten Programmierkurse, um den damals noch Millionen Dollar teuren ersten Computer am MIT namens Transistorized Experimental Computer Zero (TX-0) nutzen zu können. Ende der 60er Jahre bekam der TMRC als erster Studentenclub einen eigenen Computer und wurde zur Brutstätte der so spielerischen wie ernsthaften Hackerkultur. Was diese jungen Leute damals wollten, war einerseits, Computer und ihre Programme so gut zu verstehen, dass sie diese nach Belieben nutzen und modifizieren konnten, andererseits aber auch eine Kultur von Offenheit und Zugang für alle zu dieser Technologie. 12
Kann es Zufall sein, dass am ehemaligen Standort von Haus 20 heute das von Star-Architekt Frank Gehry entworfene „Stata-Center“ steht, in dem Tom Knight sein Büro und sein Labor hat? Und dass hier im Jahr 2004 auch zum ersten Mal der iGEM-Wettbewerb ausgetragen wurde, der seither eine neue Generation von Hackern hervorgebracht hat, die Biohacker?
In dem Gebäude, in dem es nach dem Willen des Architekten kaum eine gerade Wand oder einen konventionell viereckigen Raum gibt, treffen wir das Team aus Baltimore wieder. Wir finden sie, dem Mobiltelefon sei Dank, inmitten Tausender Studenten aus aller Welt, die vor Postern stehen, mit denen sie ihre Arbeit vorstellen und anderen Teams erklären. Darunter ist eine Gruppe von zwanzig Bio- und Kunststudentinnen und -studenten aus Bangalore, die einen ganzen Comic über DIY-Gentechnik in der indischen Provinz gezeichnet haben. Gleich daneben steht ein rotblonder, großer Schwede, der von den von seinem Team gebastelten und angeblich auf dem Mars lebensfähigen Bakterien erzählt. Ein paar Schritte weiter hören wir eine Gruppe junger Chinesen, die mit Händen und Füßen und sehr wenig Englisch ein paar brav nickenden Zuhörern ihr Projekt zu erläutern versuchen.
Das Team aus Baltimore hat sich graue T-Shirts übergezogen, auf denen ein Emblem mit den Buchstaben DIY-GEM prangt, einer Fusion von DIY-Bewegung und iGEM-Wettbewerb. Bernadette und ihre halb so alten Mitstreiter sind zu aufgeregt und in Eile, um uns viel mehr zu erzählen als ein kurzes „Hello, good to see you again“. Zudem sind sie ohnehin gerade auf dem Weg zu ihrem Vortrag im Hörsaal des „Green Building“. Dort sollen sie der Jury präsentieren, was sie den Sommer über gebastelt haben – und wollen damit vielleicht etwas gewinnen. Patrick O’Neill atmet tief durch.
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