Biohacking - Gentechnik aus der Garage
Ausbildungsjahre von dem entfernt ist, was das Baltimore-Team zusammenzubauen in der Lage war. Burketts Truppe, so stellt sich heraus, war auch mit dem Einsenden ihres BioBricks, des standardisierten Polymerase-Gens, zu spät dran. Es reicht also schon rein formal nicht zu einer Medaille. Doch richtig enttäuscht ist niemand. Man kann sich damit trösten, dass mit eingehaltenem Einsendeschluss alles vielleicht anders gekommen wäre. Und hier dabei gewesen zu sein, allein dafür habe sich die ganze Arbeit gelohnt, sagt Bernadette Gallagher und ergänzt euphorisch: „Wir machen es noch mal.“ Dann zieht sie mit den anderen los – um zu feiern. Ihr Ziel: jener Irish Pub, wo die Biohacker-Bewegung einst ihren Anfang nahm, ein paar Hundert Meter die Massachusetts Avenue hinauf.
Tom Knight und die anderen Miterfinder von iGEM hatten mit ihrer Idee nicht vor, eine neue Hackerbewegung anzuschieben. Doch mittlerweile sind es Dutzende ehemalige iGEM-Teilnehmer oder Mitarbeiter, die die Biohacker-Szene voranbringen. Unter ihnen sind in den USA die Bostoner Ur-Biohacker Kay Aull und Mac Cowell ebenso wie der Kalifornier Tito Jankowski. In Europa gehören der inzwischen in Kopenhagen lebende Freiburger Rüdiger Trojok, Pieter van Boheemen aus Amsterdam und Thomas Landrain in Paris dazu. Von Letzteren wird später noch ausführlich die Rede sein (siehe Kapitel 9).
Während also Jahr für Jahr ehemalige iGEM-Aktivisten ihren molekularbiologischen Tatendrang ausleben, indem sie zur DIY-Biologie-Bewegung überwechseln, ist der Wettbewerb von 2010 auch an dem Team aus Baltimore nicht spurlos vorbeigegangen. „Ich habe eine Menge im Labor gelernt“, bilanziert die Highschool-Lehrerin Bernadette Gallagher zwei Jahre nach ihrer Reise nach Boston. „Wenn ich einen Kollegen in Biologie oder anderen Naturwissenschaften vertreten musste, dann haben mir die Erfahrungen aus dem Labor durchaus schon geholfen.“ Der Elektrotechniker Miles Pekala, der inzwischen seinen Abschluss gemacht und einen Job in der Robotik-Forschung gefunden hat, ist beim Biohacking geblieben. „Der iGEM-Wettbewerb war ein guter Anfang für mich, um meine eigenen Sachen zu starten“, schreibt er uns per E-Mail. Er hat sich ein Bio-Labor in seinem Apartment eingerichtet und arbeitet zurzeit an Gewebezüchtung. Etwas ungläubig fragen wir nach: Gewebezüchtung in der Studentenbude? „Momentan bin ich noch in der theoretischen Phase und sammle, was ich an Material brauche.“ Eine seiner Ideen ist eine Art Bio-Drucker: „Mich interessieren vor allem künstliche Immunsysteme und Muskelgewebe, und ich will vor allem versuchen, Muskeln zu drucken und sie in Robotersysteme zu integrieren.“ Das klingt dann schon fast wie Tom Knight. Mit menschlichen Zellen will Miles „auf absehbare Zeit“ nicht arbeiten. Sicherheitsbedenken für die Arbeit im Wohnungslabor hat er keine. Es sei einer der Vorteile des iGEM-Teams gewesen, in einem richtigen, betreuten Labor gelernt zu haben. „Das ist ein Punkt, den manche DIY-Biologen vielleicht nicht verstehen und sich deshalb selbst in Gefahr bringen könnten“, meint er. In einem Profi-Labor Erfahrungen und Routine gesammelt zu haben, habe ihm auch das nötige Selbstvertrauen in sein Können gegeben.
Charaktere wie Miles Pekala und ihre Pläne können Außenstehende durchaus mit gemischten Gefühlen zurücklassen. Man kann Leuten wie ihm wegen ihrer praktischen Ausbildung, Erfahrung und des gelernten Sicherheitsbewusstseins vielleicht vertrauen. Man kann ihnen gute Wünsche hinterherrufen, auf dass ihnen gelingen möge, was sie vorhaben, und sie die Menschheit und ihre Karrieren ein wenig voranbringen. Aber ein schauriges Gefühl ob der Selbstverständlichkeit, mit der junge iGEM-Veteranen und andere Biohacker die Technologie aus den Uni-Laboren mit in die Vorstädte, Reihenhaussiedlungen und Garagen nehmen, wird man nicht ganz los.
Miles aber beispielsweise sagt, dass diese Technologie genau dort hingehört: „Ich bin ziemlich optimistisch, dass DIYbio eines Tages sogängig sein wird wie Computerhacking.“ Viele Leute wüssten einfach noch gar nicht, dass Bio- und Gentechnik außerhalb von Hightech-Labors und als Hobby möglich seien. „Die Werkzeuge [der Molekularbiologie] verlieren Schritt für Schritt ihren Patentschutz, und damit werden wir einen ähnlichen Aufstieg der Biologie sehen wie jenen der Computertechnik Mitte der Achtziger.“
Wir haben als Journalisten schon einige Hochschullehrer in Amerika besucht.
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