Birnbaeume bluehen weiß
bitte einen Moment die Klappe halten könnten. Das Letzte vor allem, weil ich das normalerweise auch oft sage. Das weiß ich also wohl. Aber was ist »normalerweise«? Und dann sind die Birnbäume plötzlich wieder da, und es muss wieder was Neues passieren, bevor ich mich noch einmal ganz kurz erinnern kann. Ich habe vergessen, warum ich hier im Stockdunkeln auf einer weichen Unterlage liege und mich nicht bewegen kann. Dabei möchte ich das so gerne. Ich kann es auch, ich kann mich bewegen, ich kann reden, ich glaube sogar, dass ich mich an alles Mögliche erinnern könnte, wenn ich bloß nicht so gefangen wäre.
Gefangen, das ist das Wort, das ich gesucht habe. Ich weiß nicht, ob es Tag oder Nacht ist, ich esse und trinke nicht mehr. Aber wenn ich nicht esse und trinke, sterbe ich. Ich bin nicht tot. Bestimmt nicht. Warum sehen sie das nicht? Oder sehen sie es wohl? Ab und zu höre ich Geräusche, die ich nicht kenne, und dann kriege ich Angst. Ich kann den Kopf nicht unter das Kissen stecken, wegrennen ist unmöglich, ich sitze fest. Seltsamerweise ist es meistens der fremde Mann mit der tiefen Stimme, der in solchen Augenblicken zu mir spricht. Es geht nicht darum, was er sagt, das verstehe ich meistens doch nicht, es geht um die Töne. Tiefe Töne, die ich in der Magengegend fühle und die mich beruhigen, weil ich eben etwas fühle.
Ich sehe sehr wenig. Ich sehe gar nichts, alles ist schwarz. In Gedanken, meine ich. Bilder in meinem Kopf. Aber wenn ich etwas sehe, dann sehe ich Teile von einem Haus. Ein riesiges Fenster, einen Schuppen, eine Regentonne. Bäume, eine Hecke, Weiden, Pferde, Grabsteine. Grabsteine? Und es stimmt alles, irgendwie. Zu all diesen Dingen gehört Ich-kneife-die-Augen-zu-also-ist-es-dunkel-Schwarz. Der Schuppen, die Regentonne, die sind in meinem Kopf, ich kann sie sehen, ohne sie wirklich zu sehen.
Wohne ich da? Bilden die Teile zusammen ein Haus, das mein Haus ist? Stehen die Bäume um mein Haus herum? Bewegen sich die Pferde auf einer Weide neben dem Haus? Ist da vielleicht ein Friedhof in der Nähe des Hauses?
Es gibt etwas, was ich vermisse. Etwas sehr Seltsames. Ein großer, nasser Lappen auf meinem Gesicht. Geschnüffel inmeinen Ohren. Etwas, das auf meine Brust springt. Ein bestimmter Druck, eine Schwere, kurze Stupse, Tritte vielleicht, auf meinem Schoß.
Lecken
»Es ist alles meine Schuld. Das Auto kam von rechts, es hatte Vorfahrt. Ich hätte bremsen müssen.«
»Pa, hör auf damit, stell dir vor, dass Gerson dich verstehen kann. Meinst du, das hilft ihm?«
»Gerson liegt im Koma, der hört überhaupt gar nichts.«
»Harald sagt, dass Leute, die im Koma liegen, manchmal was verstehen können.«
»Was für ein Unsinn. Was weiß Harald denn, der ist nur ein einfacher Krankenpfleger. Ihr könnt doch genauso gut sehen wie ich, dass Gerson meilenweit weg ist. Und es war meine Schuld, ich habe nicht aufgepasst, und darum liegt er jetzt hier und wird vielleicht nie mehr wach.«
»Geh lieber raus, das ist nicht gut für Gerson.«
»Fängst du jetzt auch schon an? Habt ihr das abgesprochen? Glaubst du etwa auch, dass Gerson uns hören kann?«
»Ja«, sagte Kees. »Ja, das glaube ich.«
Gerard sah uns an und richtete seine Aufmerksamkeit dann auf Harald, der in diesem Augenblick ins Zimmer trat.
»Wie geht es ihm eigentlich?«, fragte er, als wenn er eben schon ein langes Gespräch mit dem Pfleger geführt hätte.
»Es geht ihm den Umständen entsprechend gut«, antwortete Harald.
»Den Umständen entsprechend gut«, wiederholte Gerard. »Und was soll das bedeuten?«
»Wir haben nicht den Eindruck, dass er tiefer wegsinkt. Er bekommt über die Nasensonde genügend Nährstoffe, seine Vitalfunktionen sind gut, und die Wunden heilen ausgezeichnet. Er wird nur nicht wach. Das ist der einzige Minuspunkt.«
»Minuspunkt«, sagte Gerard. »Minuspunkt. Da liegt mein Sohn, ohne Milz und ohne Augen. Er liegt im Koma. Er ist dreizehn Jahre alt. Behalte die Minuspunkte künftig für dich.«
»Es tut mir leid«, sagte Harald. »Ich wollte Sie nicht verletzen.« Er hatte Gerard gesiezt. Das wunderte uns nicht. Vor ein paar Tagen hatte er »du« zu einem kleinen Jungen gesagt, jetzt musste er ja wohl »Sie« zu einem wütenden Mann sagen.
»Hast du was gegen Harald?«, fragte Klaas, als wir in dem großen dunkelblauen Mietwagen nach Hause fuhren.
»Harald, Harald«, sagte Gerard. »Was habe ich mit diesem Harald am Hut?«
»Er ist derjenige, der sich um Gerson kümmert«,
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