Birne sucht Helene
Experimente missbraucht?«
Andy lächelte. »Mach dich nur lustig. Lesen ist gar nicht so schlecht. Echt. Macht sogar richtig Spaß.«
»Aber Der Tod in Venedig ?« Wenn Paul Lektüre bei Andy erwartethätte, dann eher den Bildband Heiße Motorradbräute – Details in Originalgröße .
»Ich dachte, das wär ein Krimi. Aber ist total traurig. Les ich nicht weiter. Willst du’s vielleicht haben?«
Paul setzte sich zu ihm. So viel Zeit musste sein.
»Da steckt eine Frau dahinter!«
»Ja, okay, hast recht. Ich will ’ne Mieze beeindrucken. Und dass ich die Nationalhymne nach einem Topf Kidneybohnen pupsen kann, reicht heute einfach nicht mehr.«
»Und die kommt gleich? Warum willst du sie mir denn nicht vorstellen?«
»Ich erzähl dir alles später. Okay?«
»Wollt ihr es hier am Tisch treiben?«, fragte Paul. Was machte er denn da für Witze? So kannte er sich gar nicht. Aber in Gesprächen mit Andy gab es die immer – und wenn Andy sie nicht machte, legte er aus purer Notwehr selber los.
Andy blickte auf seine Uhr. »Oh, schon so spät? Ich glaub, mein Date kommt nicht mehr. Ja, da bin ich mir ganz sicher. Dann gehe ich lieber mal auf die Piste. Kann ja nicht den ganzen Abend hier sitzen, oder? Tja, also …«
Paul legte seinen Arm um Andy. »Hey, ich weiß nicht, was mit dir in letzter Zeit los ist, aber wir sind Freunde. Ich würde dir niemals irgendwas kaputtmachen. Vor allem, wenn es wichtig ist. Aber komm doch demnächst mal wieder vorbei und erzähl was. Bei Pizza? Und Currywurst? Und Fritten? Bier zum Nachspülen? Nintendo zocken? Wie klingt das?«
»Nach guten alten Zeiten.« Er lächelte, doch seine Augen zuckten unruhig Richtung Tür. »Aber jetzt geh ich besser. War schön, dich mal wiedergesehen zu haben.«
Und weg war er.
Einfach so.
Und Paul wurde das Gefühl nicht los, gerade Zeuge einer miserablenAufführung der Kölner Laienschauspieltruppe »Der Theaterunfall« geworden zu sein. Der Tod in Venedig ! Dagegen war Stephen Kings Gesamtwerk ja der reinste Komödienstadl.
Nachdem er Andy noch ein wenig nachgeschaut und nachgerochen hatte – er duftete wie eine Moschusochsenherde in der Brunftzeit –, ging er zu Dave, vor dem schon zwei leere Cocktailgläser standen. Er spielte gerade mit den Schirmchen.
»Da kommst du ja endlich! Ich wart schon eine Ewigkeit, hätte glatt ein ganzes Springbock-Steak vertilgen können.« Dave warf ihm die Menükarte zu. »Bestell dir schnell was. Ich hab heute Abend nämlich noch eine Kostümprobe. Zurzeit drehen alle am Rad, weil nächste Woche die erste Livesendung steigt.«
Paul tat so, als sähe er die Karte zum ersten Mal. »Was empfiehlt denn der Fernsehkoch?«
»Sosaties, Boerewors und Biltong, sowie als Hauptgang Potjiekos en Pap – und dazu ein Windhoek Lager.«
»Dann nehme ich das auch.«
» Nein ! Du musst was anderes bestellen, und dann probiert jeder beim Gegenüber. Ist doch viel spannender.«
»Ist das nicht … unhygienisch?«
»Na hör mal, wir haben doch schon im Messdienerunterricht aus derselben Limoflasche genuckelt. Und dabei geht immer was vom Speichel mit rein.«
»Buäh.«
»Unsere Speichel haben sich also längst vermischt. Finde dich damit ab.«
Seine ganze Jugend erschien Paul plötzlich in einem ganz anderen Licht. Irgendwie keimiger.
»Bestell du einfach für mich. Ich esse alles.« Solange sie genug Schmerzmittel in die Gerichte hineinmischten, damit er diesen Abend ertrug. Paul beschloss, ins kalte Wasser zu springen.
»Und? Wie geht’s dir? Wie läuft’s mit Eli?«
»Wirziehen die Woche zusammen. Also würde ich sagen, es entwickelt sich prima. Das ist jetzt natürlich ein nicht unkomplizierter Schritt, aber wir schaffen das. Da bin ich mir ganz sicher.«
Diesen Tiefschlag musste Paul erst mal verdauen, während Dave gut gelaunt die Bestellung aufgab. Danach plauderte er weiter aus dem Nähkästchen. »Ich bin vorgestern mit Eli sogar zur Hohenzollernbrücke gegangen, um dort ein Liebesschloss aufzuhängen. Ein richtig Großes. Hab extra unsere Initialen eingravieren lassen. Du glaubst ja nicht, wie viele da mittlerweile sind. Zehntausende bestimmt. Den Schlüssel haben wir, wie es sich gehört, über die Schulter in den Rhein geworfen – und es mit einem Kuss besiegelt. So was Romantisches hätte ich früher nie getan. Aber Eli hat einen anderen Menschen aus mir gemacht.«
Es fühlte sich an wie eine Links-Rechts-Kombination genau aufs Herz.
»Versteh mich nicht falsch«, sagte Paul,
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