Birne sucht Helene
ein 68 er-Despot. Er leitete ein Terrorregime mit freier Kleiderwahl und Raucherpause. Immerhin. Hier in der Bonner Filiale wurde von flachen Hierarchien gesprochen und einem offenen, teamorientierten Betriebsklima. Es gab viele Besprechungen, die Chefin war jung und dynamisch – aber eigentlich war es viel reglementierter als in Köln. Dass Eli mit einer leicht verwaschenen, dunklen Jeans kam und eine Weste über ihrem T-Shirt trug, war fast schon revolutionär. Turnschuhe hätten ihr allerdings die nächste Versetzung eingebracht. Löschi war dem Selbstmord nahe. Sie hatten ihm sogar sein seidenes Halstuch untersagt.
Jetzt im Moment hielt er Wache vor dem Backoffice und verschaffteihr Zeit. Zehn Minuten waren vereinbart, um die Mail zu lesen.
Eli stand mucksmäuschenstill hinter Erva und öffnete die Nachricht auf ihrem Handydisplay.
Liebes Schwesterherz ,
gestern Nacht konnte ich nicht einschlafen. Das habe ich immer, wenn mich was beschäftigt. Und wenn ich mich nicht drum kümmere, kann ich die ganze Nacht nicht schlafen. Diesmal lag es an Deinen Mails, Eli. Ich hatte das Gefühl, da stimmt was nicht mit Dir …
Erva beendete ihr Morgengebet und sah erstaunt hoch. »Oh, Eli, hab dich gar nicht bemerkt. Musst du durch?«
»Nur kurz, kannst direkt weitermachen.«
»Schon erledigt. Nimmst du die Yogamatte mit in den Knast? Danke dir! Darfst du auch als Ausrede nehmen, wenn sie dich erwischt. Aber oben bloß nicht rauchen, da ist ein Feuermelder.« Sie stand auf und legte die Hand kurz auf Elis Schulter. »Keine Sorge, das lernst du alles ganz schnell.«
Die Türen des Lastenaufzugs brauchten ewig lange, um aufzugehen. Als Eli endlich im Dekolager ankam, hatte sie das Gefühl, die zehn Minuten wären längst vorbei. Wo war denn bloß der Lichtschalter? Drei heruntergefallene und auf dem Boden zerbrochene Christbaumkugeln später wusste Eli es.
Akku muss bald geladen werden. Quatsch, der hielt noch durch, war ja nur eine Mail. Eli ließ sich in ein riesiges Osternest sinken. Es war für Osterhasen von der Größe King Kongs gemacht. Endlich konnte sie weiterlesen.
Ich habe sie immer wieder gelesen und versucht, zwischen den Zeilen eine Antwort auf die Frage zu finden, ob Du wirklich glücklich bist. Du schreibst, wie nett David ist und was für ein toller Mann, wie gut er Dir tut, dass Du den Neuanfang brauchtest. Nur von Liebe schreibst Du nirgendwo. Kein Wort. Vielleicht bin ich übersensibel, was Selbstbetrug angeht. Aber zur Sicherheit frage ich Dich lieber ganz direkt: Bist Du wirklich verliebt? Nicht dass Du Dir etwas vormachst. Ich kenne das.
Eli starrte auf die Buchstaben. Nur langsam drangen sie zu ihrem Bewusstsein durch. Was schrieb Katharina denn da? Warum zweifelte sie an Elis Liebe zu David? Nur weil nicht in jedem Satz das Wort »Liebe« stand, bedeutete dies doch nicht, dass sie nichts für David empfand? Und wieso sagte Katharina, dass sie es kannte, wenn man sich etwas vormachte? Sie, die Supererfolgreiche in Beziehung und Beruf, sie, die Überfliegerin, die niemals die Hilfe ihrer großen Schwester gebraucht hatte? Das klang alles überhaupt nicht wie Katharina. Als Eli den nächsten Satz las, wusste sie, wieso.
Ich komme diesen Herbst zurück, sag Mama bitte noch nichts! Mailand war ein Fehler. Nein, eine Lehre. Ich vermisse Mama und Dich sehr und bin unglaublich froh, eine große Schwester zu haben. Aber ich will, dass sie glücklich ist, wenn ich zurückkehre. Kriegst Du das hin? Sonst reise ich gleich wieder ab, hörst Du? Aber wenn Du David wirklich liebst, dann lass ihn nicht mehr los. Flirte nicht mit anderen Männern und knutsche nicht betrunken mit Davids bestem Freund! Das bringt nur Unglück. Aber Du machst so einen Blödsinn sowieso nicht …
Mach keine Dummheiten, ja? Du warst immer die Klügere von uns beiden. Aber wenn Du mich jemals daran erinnerst, dass ich das mal geschrieben habe, streite ich alles ab. Klar?;-)
Ich freu mich schon auf Dich und drück Dich ganz fest! Katharina (ehemals: »Il magica Tedesca«)
Die Batterieanzeige blinkte kurz auf, dann erlosch das Handy. Eli starrte weiter auf das Display. Sie merkte, dass sie zitterte. Es war, als hätte sich ihre Welt gerade auf den Kopf gestellt. Das konnte dochalles gar nicht sein! Ihr tat Katharina mit einem Mal leid, und das war völlig neu. Ihre Schwester würde sie brauchen. Eli könnte endlich einmal die große Schwester sein. Obwohl sie sich nicht freuen durfte, da Katharina unglücklich klang, tat Eli
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