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Bis an das Ende der Nacht (German Edition)

Bis an das Ende der Nacht (German Edition)

Titel: Bis an das Ende der Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Coake
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seine Tür zuzuziehen, stieg dann wieder aus und sperrte das Gatter hinter ihnen ab.
    Hält die Jugendlichen draußen. Er legte den Gang ein. So kommen sie nur zu Fuß hier rein. Und das ist vielen zu weit, bei so einer Kälte jedenfalls.
    Das ist ein großer Wald.
    Wahrscheinlich der größte zwischen Indianapolis und Lafayette. Nachgemessen hat es natürlich keiner, aber das – Wayne hat das immer gesagt.
    Seine Stimme war leiser geworden, und Patricia konnte sehen, wie er den Mund verzog.
    Der Weg machte eine Kurve nach rechts, dann nach links. Die Welt, durch die sie fuhren, war sepiagetönt, wie ein alter Film: nacktes Wintergezweig, alte Schneereste am Boden, Pfützen voll schwarzem Schlamm. Patricia war in Chicago aufgewachsen, aber sie hatte Verwandte mit einer Farm im südlichen Illinois; sie wusste, welch eine Wildnis so ein Wald sein konnte. Was für ein seltsamer Ort für ein Haus. Sie schlug ihr Notizbuch auf und schrieb etwas in Steno.
    Das Land gehört Waynes Familie?, fragte sie.
    Hat ihr gehört. Jetzt ist es Gemeindeeigentum. Wayne hatte das Land als Sicherheit für das Haus eingesetzt, und nachdem er tot war, hat seine Familie den Kredit nicht weiter abbezahlt. Ich kann’s ihnen nicht vorwerfen. Vor ein paar Jahren hat die Bank es dann für ein Butterbrot an die Gemeinde verkauft. Vielleicht bringen sie’s ja noch mal los, wer weiß, aber wer will heutzutage schon Farmland? Und zum Bebauen fehlt den Farmern hier das Geld. Irgendeine Investitionsgesellschaft müsste es kaufen. In der Zwischenzeit habe ich ein Auge darauf.
    Thompkins bremste ab, der Wagen holperte in ein tiefes Schlagloch und wieder heraus. Er sagte: Wenn es nach mir ginge, würde das Ganze einfach untergepflügt. Aber mich fragt ja keiner.
    Sie schrieb seine Worte mit.
    Die Fahrspur machte eine letzte Biegung, vor ihnen lag eine Wiese, und in der Mitte der Wiese das Sullivan-Haus. Patricia kannte es von Photos, aber in natura war es viel kleiner, als sie gedacht hatte. Sie holte die Kamera aus ihrer Tasche.
    Es ist hässlich, sagte sie.
    Ein wahres Wort, sagte Thompkins und stellte die Automatik auf Parken.
    Das Haus war zweigeschossig, von undefinierbarem Baustil – Cape-Cod-Stil traf es vielleicht am ehesten. Es hatte ein Satteldach, das aber zu klein wirkte, zu flach für das übrige Haus. Das Gesicht, das Fenster und Eingangstür andeuteten – die Tür von zwei aufgemalten Halbsäulen eingefasst -, glich dem eines Mongoloiden: nur Kinn und Mund, aber keine Stirn. Oder dem eines weinenden Babys. Es war in stumpfem Orange gestrichen, und die Farbe blätterte ab. Die Fahrspur führte ums Haus herum, wo im rechten Winkel eine Doppelgarage hervorsprang, zu groß im Verhältnis zum Haus.
    Die Pläne waren von Wayne, sagte Thompkins. Er wollte es alles selber machen.
    Was hielt Jenny davon? Wissen Sie das?
    Sie hat darüber gewitzelt. Aber nicht vor Wayne.
    Wäre er wütend geworden?
    Nein. Traurig. Er hat sich ein Haus hier draußen gewünscht, seit wir Kinder waren. Dieser Wald hier war sein liebster Platz.
    Thompkins schnallte sich ab. Dann sagte er: Ihm war wohl auch klar, dass das Haus vermurkst ist, aber er … nein, ich weiß es nicht. Wir haben alle so getan, als fänden wir es schön.
    Warum?
    Manche Leute – man will einfach ihre Gefühle schonen. Er hat sich so gefreut, und er wollte, dass wir uns alle mitfreuen. Es wäre uns nicht eingefallen, es … es ihm ins Gesicht zu sagen. Kennen Sie diesen Typ Mensch? Ein bisschen wie ein kleiner Hund?
    Ja.
    Tja, sagte Thompkins. So war Wayne. Möchten Sie reingehen?
    Im Haus war es dunkel – vor die Fenster waren Sperrholzbretter genagelt. Thompkins hatte zwei Handlampen dabei; eine stellte er gleich neben der Tür ab, die andere behielt er in der Hand. Er trat ein und winkte Patricia dann, ihm zu folgen.
    Das Hausinnere stank – ein alter, verlassener Geruch nach Schimmel und Fäulnis. Der Teppichboden – oder was davon übrig war – schien im Begriff, sich in Schlick zu verwandeln, oder in eine Art Algen, und hielt den Gestank. Patricia hatte Leichenhallen besucht, für eines ihrer Bücher hatte sie sogar einen Detective von der Detroiter Mordkommission an seine Tatorte begleitet; sie wusste, wie der Tod roch – wie tote Menschen rochen. Jetzt im Sullivan-Haus glaubte sie diesen Geruch wiederzuerkennen, unter allem anderen, aber sicher war sie sich nicht. Er hätte dazugehört.
    Möbel waren nirgends zu sehen. Bröckelnde Löcher klafften in den Zimmerdecken, wo einmal

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