Bis an das Ende der Nacht (German Edition)
Parkplatz, gleich vor dem Laden, sind zwei Streifenwagen vorgefahren, Seite an Seite, aus entgegengesetzten Richtungen kommend. Die Polizisten hinterm Steuer könnten einer das Spiegelbild des anderen sein: junge, schnurrbärtige Männer, die im Nacken bereits ein bisschen breit werden. Beide haben sie einen Bürstenschnitt, beide tragen sie Sonnenbrillen. Sie lachen, und als der Mann auf ihrer Höhe ist, strecken sie die Hände aus dem Fenster und klatschen sich ab. Der Mann hält den Kopf gesenkt und geht weiter zu seinem Pick-up am Rand des Parkplatzes, den Schlüssel schon gezückt.
Der Junge ist nicht im Pick-up. Das sieht der Mann aus mehreren Schritten Entfernung, aber er verbietet sich zu laufen – vielleicht schläft er ja, doch, das muss es sein. Aber als er sich dem Fenster nähert, kann es keinen Zweifel geben, dass der Sitz leer ist. Die Beifahrertür ist entriegelt.
Der Mann legt die Einkäufe ins Auto und schaut ganz ruhig auf dem Parkplatz umher. Überall nur parkende Autos und Leute, die aus- und einsteigen. Die Polizisten in ihren Streifenwagen lachen immer noch miteinander. Er umrundet den Pick-up, wirft einen Blick auf die Ladefläche. Nichts. Der Parkplatz endet an einer grasigen Böschung, die zum Fahrbahnrand ansteigt; diesen Sommer herrscht eine Dürre, das Gras ist graugrün und trocken wie Zunder, soweit der Mann sehen kann. Er holt tief Atem. Hinter der Cafeteria und dem Laden kommen lange Reihen von Lagerschuppen. Gegenüber gibt es Eiskrem zu kaufen. Lauter Plätze, so scheint es plötzlich, die einen Jungen locken könnten.
Er ruft den Namen des Jungen – nicht sehr laut, aber laut genug, dass er ihn hören müsste, wenn er sich irgendwo in der Nähe zwischen den Autos herumtreibt. Keine Antwort.
Er geht zwei Reihen weiter und ruft noch einmal, wieder vergeblich.
Der Mann sperrt den Pick-up ab und geht langsam zurück zu dem kleinen Laden. Einer der Cops schaut kurz zu ihm hoch. Der Mann lächelt, ein schmales, gesetzestreues Lächeln, und drückt die Tür auf, tritt ein in die klimatisierte Kühle.
Er wirft einen Blick in die angrenzende Cafeteria und sieht nichts. Die Collegeknaben spielen immer noch ihre Videospiele. Er schaut zwischen den Lebensmittelregalen. Er geht in die Herrentoilette und ruft den Namen des Jungen. Bis jetzt hat er die Panik im Zaum halten können, aber als er nun in den Laden zurückkehrt, regt sie sich doch. Er schluckt und fragt die Kassiererin, ob sie zufällig einen kleinen Jungen gesehen hat. So ein kleiner Blonder?, sagt sie. Ja, dem hab ich Quarters gewechselt.
Diesmal sieht er ihn. Hinter den Collegeknaben. Der Junge spielt Race Car, in einer dieser Videomaschinen mit geschlossenem Cockpit und richtigem Lenkrad. Der Mann stellt sich neben die Maschine und beobachtet den Jungen, der zu hackenden Schlagzeug- und E-Gitarrenrhythmen sein Rennen fährt. Er macht einen Schlenker – Kopf und Schultern bewegen sich mit -, und der kleine Wagen auf dem Bildschirm rammt eine Kuh am Straßenrand, die zu Brocken von dunkelrotem Fleisch zerbirst; der Wagen fährt weiter, und der ganze Automat erbebt und bäumt sich auf.
Achtung!, dröhnt der Automat.
Du hast mich erschreckt, sagt der Mann leise, und der Junge zuckt zusammen.
Gleich, sagt er.
Na gut, spiel noch fertig, aber dann müssen wir los.
Okay, sagt der Junge halbherzig.
Der Mann und der Junge gehen zum Pick-up zurück. Diesmal schauen beide Polizisten, und der Mann lächelt wieder, linkisch. Er dreht sich bewusst nicht nach ihnen um, aber der Junge schon, sieht sie direkt an. Er winkt sogar.
Als sie wieder auf dem Highway sind, sagt der Mann: So was darfst du nicht machen. Ich muss wissen, wo du steckst, wenn du aus dem Auto aussteigst. Ich habe deiner Mutter versprochen, dass du keinen Unsinn anstellst. Würdest du das bei ihr auch machen?
Ich hab dir doch gewinkt. Ich dachte, du siehst mich.
Das ist gelogen, aber der Mann geht darüber hinweg. Er legt dem Jungen die Hand auf die Schulter und drückt zu, bis der Junge den Kopf hebt.
Wenn du das noch mal machst, muss ich andere Saiten aufziehen. Willst du das? Willst du, dass ich dich bestrafe? Wir sollen doch Spaß miteinander haben.
Der Junge schaut einen Moment zu ihm hoch, dann hinunter auf seine Hände.
Nein.
Gut. Der Mann wirft einen Blick in den Rückspiegel. Na gut. Ich hab dir ein Lexikon und ein paar Hefte gekauft. In der Tüte da.
Der Junge langt nicht nach der Tüte, aber damit hat der Mann auch nicht gerechnet. Der Junge ist
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