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Bis an das Ende der Nacht (German Edition)

Bis an das Ende der Nacht (German Edition)

Titel: Bis an das Ende der Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Coake
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erbeten hat als ihre Mithilfe dabei, sich … sich umzubringen! Und wenn sie das nicht kann, wenn sie ihm als Einziges sagen kann, dass sie es nicht erträgt, ihn als Einziges um einen Tag mehr bitten kann, eine kleine Spanne von Stunden nur, um Gnade, um eine einzige letzte Stunde im Dunkeln, in der sie nicht um seinen nächsten Atemzug bangen muss oder um den danach – dann soll das sein, was es mit uns macht? Nicht ein Mal hat er sie gefragt, wie sie über die Sache denkt. Nicht im Ansatz hat er sie mitentscheiden lassen, wie es zwischen ihnen zu Ende gehen soll. Und das – das ist alles, was ihm jetzt dazu einfällt?
    Sie scheuert den Boden heftiger.
    Albert tut der Magen weh. Er lehnt sich an das Kopfbrett und knetet sich den Bauch. Es tut ihm leid, dass er laut geworden ist. Seine arme Frau wischt die verschüttete Milch auf. Er bemerkt einen Glassplitter nahe bei ihrer Hand und zeigt darauf, und will schon etwas sagen, da sieht sie ihn selber und klaubt ihn aus der Milch. Die Sachtheit der Gebärde, die Zartheit ihrer Hände … am liebsten würde er sie vom Boden aufheben. Wenn er es doch nur könnte! Wenn er sie nur in seine Arme ziehen und alles erklären könnte. Versteht sie denn nicht? Seiner Liebe zu ihr ist er sicher. Das – dieses Ende – ist das einzige Geschenk, das er ihr noch machen kann. Er will ihr die Sätze sagen, die er sich zurechtgelegt hat. Er will ihr die letzten Dinge sagen, die er in seinem Leben sagen wird, ihr und nur ihr allein. Wenn sie doch bloß zu ihm hochschauen würde.
    Er legt ihr die Hand auf die Schulter.
    Wie kannst du es wagen, denkt sie und beißt sich auf die Lippe, scheuernd.
    Er probt die Worte im Geist, voller Sorgfalt, während er darauf wartet, dass sie aufschaut:
    Elise, ich bin der glücklichste Mensch. Ich liebe dich mehr denn je. Du bist mein Leben.

Unterwegs
     
    Das sind die Fakten:
    Ich war neun, und ich fuhr mit meinem Vater quer durch die Staaten, von Colorado zurück nach Illinois. Meine ganze Kindheit über hatten wir in Colorado gewohnt, und unser Umzug in den Mittleren Westen war befrachtet und bedrückt, ein (wie sich herausstellte, letztes) Zugeständnis meines Vaters an meine Mutter: die Rückkehr in ihre Heimatstadt Chicago. Die Liebe zu den Bergen war eine der wenigen Gemeinsamkeiten zwischen meinem Vater und mir; und als sich ergab, dass er eine Woche länger in Colorado bleiben musste, um den Verkauf unseres Häuschens unter Dach und Fach zu bringen, erlaubte er mir, bei ihm zu bleiben. Mein Vater war ein unnahbarer, schweigsamer Mann, aber diese letzte Woche wanderten und fischten wir friedlich zusammen, ohne ein Wort über die Stadt zu verlieren. Dann brachen wir, widerstrebend, nach Osten auf.
    Mein Vater mochte keine Hotels, deshalb waren wir spät nachts auf dem Highway unterwegs – spät auf eine Art, wie das nur auf Reisen möglich ist, weit entfernt von jeglichem Zuhause, als wären wir ausgenommen von der realen Welt, der realen Zeit. Und da, beim Essen in einer Raststätte in Kansas, sah ich sie: einen Jungen und einen Mann.
    Der Junge war so alt wie ich, vielleicht etwas jünger. Er und ich sahen uns von unseren Tischen quer durch den Raum an, während mein Vater schlief, den Kopf auf den Armen. Der Junge kam mir komisch vor: blass, aufgewühlt. Der Mann, der bei ihm war – groß und unrasiert -, hatte den Arm auf der Banklehne liegen, hinter den Schultern des Jungen. Er rauchte und schaute dem Jungen beim Essen zu. Sie gingen vor uns.
    Als wir von der Raststätte wegfuhren, strichen unsere Scheinwerfer über einen Pick-up auf dem Parkplatz. Darin saß, sein Gesicht aufleuchtend in dem grellen Lichtstrahl, der Junge. Er wirkte auf mich, als hätte er gerade geweint oder würde gleich anfangen zu weinen. Er wirkte verängstigt. Der Mann saß neben ihm, im Schatten, seine Hand auf der Schulter des Jungen. Ich glaubte – und ich glaubte es immer mehr, je mehr ich darüber nachdachte -, ich glaubte gesehen zu haben, wie der Mann seinen Kopf von dem des Jungen wegzog. Dann waren sie wieder in Dunkel getaucht. Ihr Pick-up fuhr hinter uns auf die Straße und bog auf den Zubringer Richtung Westen, während wir nach Osten fuhren. Mein Vater schien nichts Ungewöhnliches bemerkt zu haben; dennoch sagte ich nichts zu ihm. Was hätte ich auch sagen sollen? Ich war mir nicht sicher, was ich gesehen hatte, und mein Vater konnte mit meinen Hirngespinsten wenig anfangen.
    Aber auf der Weiterfahrt nach Chicago, nach Hause, versuchte ich mir

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