Bis an das Ende der Nacht (German Edition)
von dir. Ich habe das nicht, Brynn hat es nicht, und Colin auch nicht.
Also dann, pack’s an, spring rein ins kalte Wasser. Um uns trauern sollst du natürlich auch, aber dazu ist jetzt erstmal keine Zeit.
Sag Colin, dass wir ihn lieb hatten, und sag es ihm jeden Tag.
Tom
Zwanzig Minuten später, als Kims leises Klopfen ihn aufschreckte, saß Danny auf der Couch, die Flasche zwischen die Schenkel geklemmt, Toms Brief umgedreht neben sich auf dem Kissen. Er stand so hastig auf, dass er fast den Whiskey verschüttet hätte, und das Zimmer schwankte ganz leicht. Gut, dachte er. Umso besser. Er öffnete die Tür.
Hi, Baby, sagte er.
Hey, sagte Kim und kam ohne Umstände herein, wenn auch nicht sehr weit. Ich musste erst Amanda anrufen, dass sie mich fährt, sagte sie. Ich bin immer noch ziemlich neben der Spur. Sie kreuzte die Arme über der Brust und spähte an Danny vorbei ins Wohnzimmer.
So heilfroh Danny war, sie zu sehen: Sie sah wüst aus. Ihr rundes Gesicht war bleich und gedunsen, die Augen rotgerändert hinter der Brille, das kurze braune Haar verstrubbelt und schlaff. Sonst kannte er sie fast nur sexy und kess und mit Kussmund – er mochte das Energische an ihr, ihren Anblick in schwarzer Lederjacke und engem Rock, der ihre vollen Hüften umspannte. Aber jetzt, in Sweatshirt und Jeans, ausgelaugt und ernst, ähnelte sie eher der Mutter der Babysitterin als der Kim, die er kannte.
Trotzdem, dass sie so gar keine Anstalten machte, ihn zu umarmen, ließ ihm die Kehle eng werden.
Bist du allein?, fragte sie.
Ja. Ich dachte, das hätte ich dir schon ge-
Ich – ich hab gedacht, es wären vielleicht … die Bullen da oder so was. Oder von der Familie jemand.
Er zählte ihr auf, wo die Angehörigen wohnten. Kim drehte sich langsam in der Mitte des Wohnzimmers und starrte auf alles außer auf ihn.
Sie hatte sich nie wohlgefühlt hier bei Tom und Brynn – sie hatte ihnen sogar bittere Superhelden-Namen verpasst: Super-Mom und Lawyer-Boy. Ihr Haus hieß bei ihr nur das Einrichtungshaus. Das ist nicht fair, hatte er ihr immer gesagt. Dabei hatte er sich in dem Haus selber nie so ganz wohl gefühlt. Mit Colin, das musste man sagen, war es besser geworden – turbulenter, weniger museumsartig. Aber Brynn spannte selbst Colin schon ein, brachte ihm bei, wie lustig es war, Ordnung zu halten, alles da hinzutun, wo es hingehört. Neuerdings versuchte Colin, Schubladen oder Schränke schon wieder zuzumachen, bevor Danny sie ganz geöffnet hatte, sein rundes Gesicht tadelnd und beleidigt. Nein, Onkel Danny, das gehört nicht so. Brynn hätte sich totlachen wollen darüber. Onkel Danny ist ein alter Schlamper, stimmt’s?, sagte sie, und Colin zeigte auf ihn und trompetete: Alter Schlamper!
Nur wir beide, sagte Danny zu Kim, für ein Weilchen noch.
Mann, sagte sie. Es müsste, was weiß ich, eine Agentur für so was geben. Jemand … Sie strich sich durchs Haar und ließ den Gedanken unvollendet.
Hey, sagte er und hielt das Glas hoch. Magst du?
Du trinkst?
Ja. Du – also komm, jetzt schau mich nicht so an.
Es ist nur, ich meine, da schläft ein Kind nebenan. Vielleicht solltest du da besser nicht betrunken sein?
Danny sah auf die Flasche und stellte sie dann auf einem Beistelltischchen ab. Weißt du, sagte er, vielleicht brauche ich gerade ein bisschen Trost. Von dir.
Kim starrte ihn an, als hätte er eben in dieser Sekunde aus dem Nichts heraus Gestalt angenommen. Dann blinzelte sie und nickte.
Entschuldige, Baby, sagte sie und schlang die Arme um ihn.
Er küsste sie auf den Scheitel. Sie roch nach verrauchten Bars, nach fernen Bieren. Er mochte den Geruch – er erinnerte ihn an Gigs, an lachende Menschen, an dieses Gefühl, das er jedesmal bekam, wenn die Band loslegte und die Menge zu johlen anfing. Oder wenn er mit wundgespielten Fingern eine kalte Flasche aufhob, hinterher, in den lärmenden, frohen Frühmorgenstunden. Oder wenn er mit Kim ins Bett stolperte. Er fragte sich, wann – ob! – er dieses Gefühl je wieder haben würde.
Kim löste sich von ihm, viel eher, als ihm lieb war. Wo ist Colin?, fragte sie.
Schläft.
Ist er kein einziges Mal aufgewacht?
Nein. Sie sagen, er schläft zurzeit immer durch, und … ach, Scheiße, ich weiß doch eh nicht, was ich ihm sagen soll. Er wird nach seiner Mutter fragen.
Er wollte sie dringend wieder berühren, aber Kim hatte die Arme verschränkt.
Kann ich ihn sehen?
Danny führte sie den Flur entlang, der vom Wohnzimmer abging; ihre Stiefel
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