Bis ans Ende der Welt (German Edition)
sonst. Eine Leinwand am Seeufer gab es, wie ich später erfahren habe, gar nicht, und selbst Christoph konnte nicht mehr erklären, wie er auf diese Idee kam.
Es muß um die Mitternacht gewesen sein, als wir das Lokal verließen und nun auch noch einen Schlafplatz benötigten. Christoph hatte schon eine Lösung. Sie war die alte und hieß „Schulhof“. Wo aber nun plötzlich und auf die Schnelle einen Schulhof auftreiben? Es war heute wirklich nicht einfach mit Christoph, aber ich beschloß, ihn nicht zu enttäuschen. Die Universität war gleich um die Ecke, dorthin führte ich ihn, und siehe da, es war ein Volltreffer. Rasen, Bänke, Springbrunnen, Teiche auf mehreren Ebenen mit verwinkelten Ecken, alles du n kel und menschenleer. Christoph ließ sich nicht zweimal bitten und verschwand irgendwo, um die Privatsphäre zu wahren, ich suchte noch eine Weile nach einer geeigneten Bank und Badegelegenheit. Und es wäre bestimmt alles gutgega n gen, wären mir nicht in der vorherrschenden ägyptischen Finsternis beim Au s packen zwei Konserven entwischt. Sie flüchteten über eine naheliegende Fu ß gängerbrücke, stürzten sich hinunter auf den Betonboden eine Ebene tiefer, was sich wie Salutschüsse anhörte, und rollten dann ungeniert sehr geräuschvoll we i ter in Richtung Seeufer. Das wiederum führte dazu, daß kurze Zeit später, au s gerechnet während meines Bades im Teich, eine junge Frau mit der Tasche n lampe aus dem Fenster im ersten Stock leuchtete und laut schrie: „Qui est la? Répondez!“ Und sie nahm absolut keine Rücksicht auf meine nackte Privatsph ä re und machte Licht und Palaver, bis ich genervt die Tarnung aufgab und z u rückrief: „C’est moi, dormi!“ Jawohl! Und es zeigte auch sofort Wirkung, denn Frauen können echt nervig sein, aber in diesen Sachen sind sie nicht besonders klug. Sie hörte auf, überall hin zu leuchten und zu schreien, und ich konnte en d lich aus dem Teich steigen, mich trocknen und die Abendtoilette beenden. Aber ich sah sie noch hinter dem Fenster spähen und rechnete eigentlich fest damit, daß mich schon kurze Zeit später Rex besuchen kommt. In dieser Lage hätte es zu Mißverständnissen oder gar Oberarmbissen führen können. Doch Rex kam nicht. Er mußte die siegestrunkenen Türken vor der Rache der enttäuschten deutschen Fans beschützen und hatte für den Unsinn hier wohl keine Zeit. Es war allerhand los in der Stadt, überall heulten Polizeisirenen, aber sie galten nicht mir, und nach einer Weile schlummerte ich trotz schlechten Gewissens ein, und schlief, selig und ungestört, bis zum Morgengrauen.
Genf, km 913
Am nächsten Morgen starteten wir schon sehr früh. Ich wollte auf keinen Fall der hysterischen jungen Dame vom Vorabend begegnen. Christoph, wohl von der Privatsphäre gedrängt, nahm schon nach ein paar Schritten endgültig A b schied. Vielleicht war es nur die Enttäuschung über die mangelnde deutsche Kampfleistung, mit der er allein fertig werden mußte. Ich überließ ihn seiner Trauer und stieg auf den Spuren der flüchtigen Konserven zum Genfer See he r unter. Lac Léman heißt er heute auf Französisch, abgeleitet vom lateinischen Lacus Lemanus, im Mittelalter nannte man ihn auch Lac de Lausanne oder Lac d’Ouchy. Vielleicht noch mehr. Manche Orte haben das Pech, mit wechselnder Herrschaft immer neue Namen zu bekommen. Der See aber war immer derselbe, über siebzig Kilometer lang, bis zu dreizehn Kilometer breit und bis zu dreihu n dert Meter tief. Das ist viel Wasser, fast schon ein kleines Meer. Cellini, der Schöpfer des Perseus, geriet hier auf dem Weg nach Frankreich in einen schlimmen Sturm und bangte ums Leben. Mein Plan war, vor der Weiterreise noch zu baden und die verschwitzten Klammotten zu waschen. Bei der Größe schien es mir noch ökologisch vertretbar. Doch am Ufer war schon viel los. T y pische Großstadtaktivisten in knalligen Gummihosen schwirrten herum, Hunde wurden Gassi geführt, Fahrradglocken alarmgeläutet, Picknickkörbe zum Frü h stück geräumt. Ein Trupp Arbeiter mähte mit großem Krach den kommunalen Rasen und schnitt überschüssige Äste ab. Daraus entnahm ich, daß es kein Son n tag war. Aus den knatternden Geräten stiegen blaue Abgaswolken und stanken infernalisch. Dazu machte der See ein bleiernes, bösartiges Gesicht. Tiefe G e wässer tun das. Ich fühlte mich hier nicht ganz wohl und ging bald weiter. Ich war ja frei.
Dem Führer nach zu urteilen, sollte die Bebauung am Ufer immer dichter we
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