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Bis ans Ende des Horizonts

Bis ans Ende des Horizonts

Titel: Bis ans Ende des Horizonts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Sayer
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betrachtete sie den schwarzen Rauch, der aus den Trümmern aufstieg. Daraufhin hörte sie das Echo eines markerschütternden Schreies durch das Tal gellen, bis sie begriff, dass sie es war, die schrie.

Coda
    »Mum und Dad haben die Wahrheit nie erfahren«, sagt Pearl auf dem letzten Tonband. »Tatsächlich kennt niemand die ganze Geschichte – jedenfalls niemand, der noch lebt.« Dann folgt eine Pause, und ich kann ihr Keuchen hören, als ob sie um Atem ringt. Das Klirren von Eiswürfeln in einem Glas. Sie räuspert sich und trinkt einen Schluck, vermutlich Wodka.
    Ich habe das Gefühl, an meinen Stuhl gefesselt zu sein, mich nicht bewegen zu können. Ich stelle mir vor, wie das Flugzeug explodiert, wie Feuer und Rauch aufsteigen und wie der Mann, mit dem sie gerade noch geschlafen hat, regelrecht pulverisiert wird. Mein Atem geht so flach, dass mir ein bisschen schwindlig wird. Dasselbe Gefühl muss es sein, oben auf einem Hochhaus zu stehen und auf die Straße hinunterzublicken.
    Ich muss mich zwingen, mich zu konzentrieren, als sie leise stöhnt und – nach einem weiteren Schluck von ihrem Drink – murmelt: »Hör zu, Liebling, da kommt noch was.«
    Auf dem Flug nach Sydney wurde Pearl von Sergeant Rudolp h ins Gebet genommen, der sie so schnell und so geräuschlos wie möglich aus der Armee wieder ins Zivilleben entlassen wollte.
    »Es war ein Unfall, Willis, ein unglücklicher Zufall, Willis!«, wiederholte er verärgert ein ums andere Mal. »Kein Amerikaner käme auf die Idee, im Krieg einen seiner eigenen Landsleute zu töten.«
    Pearl trug noch immer die Uniform, spielte noch immer ihren Bruder. Seit die zur Verstärkung aus Mount Hagen angerückten Soldaten das japanische Flugzeugwrack in die Luft gejagt hatten, waren erst zweiunddreißig Stunden vergangen. Pearl stand nach wie vor unter Schock. Sie hielt den Hund an sich gedrückt und weigerte sich, ihn loszulassen. Sie würde es niemals glauben oder akzeptieren, dass James nur wegen eines tragischen Versehens hatte sterben müssen; in ihren Augen war er absichtlich getötet worden. »Um für Australien zu sterben war er gut genug, aber nicht, um hier zu leben«, hatte sie Rudolph in erbittertem Ton erwidert. Das waren die letzten Worte, die sie zu ihm gesprochen hatte.
    Nachdem sie in Sydney gelandet waren, sorgte Rudolph dafür, dass die notwendigen Formalitäten in Windeseile erledigt wurden und der Gefreite Martin Willis innerhalb von zwei Stunden ehrenvoll aus der australischen Armee entlassen wurde. Der anstehende Sold in Höhe von fünfzig Pfund wurde umgehend ausbezahlt. Pearl bestieg ohne weitere Umwege einen Zug in die Blue Mountains. In der Abenddämmerung traf sie mit ihrem Gepäck und mit Pup auf der Farm ein. Sie klopfte an die Tür, und als sie aufging, stand Martin vor ihr. Er trug einen Overall, und seine Haare waren lang und verfilzt. Nach einem ersten Blick auf seine Schwester rief er: »Meine Güte, was ist mit dir passiert?« Sie fielen sich in die Arme und brachen beide in Tränen aus.
    Am nächsten Tag wurde aus dem Soldaten Willis wieder Pearl und Martin ein ins Zivilleben entlassener ehemaliger Gefreiter. Dann fuhren sie nach Sydney und machten sich auf den Weg zu ihrem Elternhaus. Clara und Aubrey waren wie vom Donner gerührt, doch die Zwillinge behielten ihr Geheimnis für sich. Martin behauptete, ein Jahr lang im Kriegseinsatz in Neuguinea gewesen zu sein, und Pearl erzählte ihnen, sie sei vor der drohenden Hochzeit mit Hector zu Pookie und Nora Barnes geflohen und habe bei ihnen auf der Farm in den Bergen gelebt. Ihre Eltern waren überglücklich, dass die Zwillinge wohlbehalten nach Hause zurückgekehrt waren, und so wurde die Wiedersehensfeier mit vielen Tränen und Umarmungen und ungezählten Flaschen Bier begangen.
    »Mach dir keine Sorgen, mein Lieber«, sagt Pearl am Ende von Band Nummer dreiundzwanzig. »Die Geschichte hat trotz allem doch noch ein Happy End.« Ich höre, wie sie das Glas abstellt und aufseufzt. »Sieben Wochen nach meiner Rückkehr nach Sydney …« Sie räuspert sich. »Sieben Wochen später stellte sich heraus, dass ich schwanger war.«
    Zuerst dachte ich, ich hätte mich verhört. Ich drücke bei dem Tonbandgerät auf Stopp, spule kurz zurück und lasse die Stelle noch einmal durchlaufen.
    »… doch noch ein Happy End. … Sieben Wochen nach meiner Rückkehr nach Sydney … Sieben Wochen später stellte sich heraus, dass ich schwanger war. Meine Mutter ging an die Decke. Am Anfang. Aber dann

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