Bis ans Ende des Horizonts
Bandleader erkundigte sich nach Martin und der übrigen Familie Willis und erging sich in der Erinnerung daran, wie die Zwillinge einmal einen toten Fisch an seinen Posaunenzug gebunden hatten. Als er sein Instrument in die Hand nahm, um ein Solo zu spielen, baumelte der Kabeljau durch den Schwung kurz heftig hin und her, bis der Faden riss, der Fisch im hohen Bogen durch die Luft flog und auf dem Schoß der Gattin des Bürgermeisters landete.
Pearl und Bogwald bogen sich vor Lachen, aber Hector verzog kaum eine Miene. Seine Verlobte hatte ihn noch nie so ernst und in sich gekehrt gesehen, noch nicht einmal im Krankenhaus.
Die beiden Raucher warfen ihre Kippen auf die Straße und traten sie aus. Sie verabschiedeten sich gut gelaunt voneinander, und der Kapellmeister gab Hector zum Gruß die Hand und konnte sich sogar noch an dessen Namen erinnern.
»Und denk daran«, sagte Bogwald, noch bevor er Richtung Domain weiterging, »lass dich ab und zu im Trocadero blicken, damit wir dich nicht ganz aus den Augen verlieren, Kleines. Komm einfach vorbei und spiel mit uns, wann immer dir der Sinn danach steht.«
»Das mach ich bestimmt«, antwortete sie und winkte ihm nach.
»Das ist ja witzig, dass wir ihm so einfach über den Weg gelaufen sind«, bemerkte sie, als Hector und sie ihren Weg fortsetzten und eine Straße überquerten. »Weißt du, er ist ein wunderbarer Kapellmeister – der beste, den ich mir vorstellen kann. Er hat seine Ausbildung beim London Philharmonic Orchestra erhalten.«
Hector entgegnete nichts darauf. Erst nach einer ziemlich langen Weile räusperte er sich und meinte: »Ich wusste gar nicht, dass du rauchst.«
Pearl zuckte die Achseln. »Ach, gelegentlich.«
Hector presste die Lippen zusammen und schaute weg. Sie dachte, er würde nun eine Bemerkung in der Art machen, dass Frauen lieber nicht rauchen sollten, vor allem nicht in der Öffentlichkeit, oder dass das Qualmen nicht gut für die Gesundheit sei, aber nach einer Weile fragte er bloß: »Seit wann kennst du den Typen eigentlich?«
»Wen? Lionel?« Sie überlegte einen Moment. »Tja, als ich mein erstes Vorspiel im Trocadero hatte, war ich siebzehn. Also seit ein paar Jahren schon.«
Hector hielt seinen Blick starr auf einen Flugzeugträger links von ihm geheftet. »Und wie oft hast du dich mit ihm verabredet?«
Pearl war so überrascht, dass sie zuerst dachte, sie hätte sich verhört. »Er war unser Bandleader, Hector. Mein Chef.«
»Und nicht dein Freund?«
Pearl versicherte ihm, dass Bogwald und sie lediglich Freunde im ganz unverfänglichen Sinne waren – ja eigentlich weniger als das, allenfalls befreundete Kollegen. Der Gedanke an eine Romanze mit Bogwald war einfach lächerlich. Sein Atem roch oft genug nach Gin, und wenn es regnete, lief ihm schwarzes Haarfärbemittel über sein Gesicht. Hector sagte weiter nichts mehr, als sie die steile McElhone-Treppenanlage erklommen, die zum Haus der Willis führte. Sie war sich nicht ganz sicher, ob sie ihn im Hinblick auf den Kapellmeister überzeugt hatte, doch er stellte keine weiteren Fragen.
Pearls Unbehagen über das merkwürdige Verhalten ihres Verlobten verflog im Nu, als die beiden zu Hause ankamen. Auf dem Fußboden im Wohnzimmer fanden sie Großmutter Lulu, die verzweifelt nach Luft rang. Ihre Augen waren nach hinten gerollt, und sie zitterte am ganzen Körper so heftig, als stünde sie unter Strom. Clara lag neben ihr auf den Knien und schrie: »Mama! O mein Gott! Ich bin doch da!« Pearls Hochzeitskleid, an dem Lulu stickte, hatte sich um ihren Körper gewickelt, und sie hielt sogar noch die Nadel zwischen Daumen und Zeigefinger. Anscheinend wollte sie gleich damit fortfahren, sobald ihr Anfall vorüber war. Hector ließ sich sofort auf die Knie fallen, steckte ihr einen Finger in den Mund und entfernte als Erstes ihr Gebiss.
Als der Krankenwagen ankam, hatten die Krämpfe etwas nachgelassen, Lulu lag schlaff und halb bewusstlos da. Clara fuhr im Krankenwagen mit, und in der Zwischenzeit eilten Aubrey, Pearl und Hector so schnell es ging die Victoria Street entlang, überquerten die große Kreuzung am Kings-Cross-Bahnhof und eilten weiter in den Stadtteil Darlinghurst zur Notaufnahme des St.-Vincent-Krankenhauses. Ein Ärzteteam untersuchte Lulu bereits, um die Ursache für den Anfall festzustellen. Aubrey nahm seine verstörte Frau in die Arme, wiegte sie hin und her, küsste sie auf die Augen und nannte sie »mein Täubchen«.
Nach ungefähr einer Stunde atmete
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