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Bis ans Ende des Horizonts

Bis ans Ende des Horizonts

Titel: Bis ans Ende des Horizonts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Sayer
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konnte sie froh sein, dass sie auf diese Weise den wachsamen Blicken der übrigen Soldaten entging. Dadurch, dass sie mehrere Stunden am Tag in das Instrument blies, kräftigten sich auch wieder ihre Muskeln rund um Mund und Lippen. Sie übte die Atemtechnik, die James ihr beigebracht hatte, und sie übte auch das betont langsame Spiel, wie er ihr geraten hatte. Systematisch spielte sie jede Melodie, die sie kannte, in jeder einzelnen Tonart. Wenn sie nachts in ihrer Hängematte lag, schmerzten ihre Kiefer, und in ihrem Kopf liefen Fetzen von Jazzmusik wie in einer Endlosschleife. Außerdem beschäftigte sie sich in Gedanken dauernd mit James, wo er sein könnte, was er gerade machte und wie er reagieren würde, wenn sie ihn gefunden hatte.
    Charlie hielt es für ausgemachten Blödsinn, dass sie sich in eine Kammer einschloss und nur für ein paar Grobiane im Dschungel so intensiv übte. Sie konnte ihm natürlich nicht sagen, welche körperliche, ja beinahe erotische Befriedigung ihr diese Anstrengung jeden Tag verschaffte.
    Am fünften Nachmittag auf dem Schiff saß sie neben Charlie im Speisesaal bei dem üblichen Eintopf. Wegen eines gesprungenen Rohrblattes hatte ihre Lippe innen eine Schnittwunde, und der Geschmack ihres Blutes vermischte sich mit dem des fettigen Hammelfleisches. Beim Anblick der weiblichen Gestalt auf dem Wandgemälde aus Ätzglas zitterte in ihr wieder der Schatten der Erinnerung, wie sie von dem indischen Steward eben an diese Wand gedrückt wurde und er ihr seine Zunge in den Mund gesteckt hatte. Sie konnte ihre Neugier nicht mehr länger unterdrücken; sie musste unbedingt herausfinden, ob dies tatsächlich das Schiff war, auf dem sie damals mit ihrer Mutter gefahren war. Nachdem sie ihren Teller leer gegessen hatten, schlug sie daher Charlie vor, sich das Innere des früheren Ozeandampfers etwas genauer anzusehen. Er lächelte sie an wie ein aufgeregter kleiner Junge.
    Sie ging voran zum Saal hinaus und einen Gang mit nummerierten Kabinen entlang, bis sie zu einem Niedergang kamen, der sie in die tosende Unterwelt der Maschinen, Pumpen und des Dampfes führte. Es roch hauptsächlich nach Diesel, und ab und zu stach ihnen ein scharfer chemischer Geruch wie von Bleichmittel in die Nase. Sie bewegten sich über Metallstege, stiegen weitere Niedergänge hinab; je mehr sie in die Tiefe gelangten, desto höher stieg die Temperatur, als ob sie sich der Hölle näherten. Auf der sechsten Ebene unter dem Hauptdeck ächzten die Maschinen, es klang wie Tiere, die im Sterben lagen. Hier unten hatte man auf einen grauen Neuanstrich verzichtet, die grüne Farbe blätterte von den Wänden, und einzelne Flocken klebten an den Sohlen ihrer Stiefel. Pearl gelangte an ein hüfthohes Metallgatter, das ihr irgendwie bekannt vorkam; sie erinnerte sich vage, dass hier einst ein Schild mit der Aufschrift »Zugang für Passagiere strengstens verboten« hing. Sie durchquerte trotzdem das Gatter und zählte die anschließenden Türen auf der linken Seite bis zur fünften. Diese öffnete sie und stand in einer winzigen Kabine mit einem schmalen Bett und einem kleinen Waschbecken. Vergilbte Zeitungen und Zeitschriften aus dem Jahr 1939 lagen auf dem Boden verstreut. In den Ecken unter der Decke hingen größere Spinnweben. Sie ging einige Schritte in die Kabine hinein, und als sie sich umdrehte, erkannte sie zu ihrer Überraschung auf dem Boden die Abdrücke ihrer Stiefel im Staub.
    Pearl ging rasch zum Bett und zog die Matratze beiseite. Tatsächlich waren an der Wand die Initialen PW eingeritzt sowie ein wenig schräg das Zeichen für eine Sechzehntelnote. Vor acht Jahren war diese unbenutzte Mannschaftskabine ihre geheime Zuflucht gewesen. Wenn Clara sich von reichen Mitreisenden zum Trinken einladen ließ, hatte sie sich hierhergeschlichen, um ungestört zu spielen und den Geräuschen aus dem Schiff zu lauschen, dem Knarren und Knacken, dem Rumpeln und Rattern, und sie stellte sich vor, sie wäre ein blinder Passagier.
    Sie schob die Matratze wieder zurück und wollte sich gerade aufrichten, als sie spürte, wie sie von hinten umfasst und mit dem Gesicht voran auf die Matratze gedrückt wurde. Sie versuchte sich zu wehren und aus dem Griff herauszuwinden und schrie auf. Charlie hatte sie vollkommen überwältigt, küsste ihren Nacken, befummelte ihren Hintern und versuchte, seine Zunge in ihren Mund zu stecken. Er atmete heftig und presste die stramme Ausbuchtung an seiner Hose fest an ihren Körper. Es gelang

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