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Bis ans Ende des Horizonts

Bis ans Ende des Horizonts

Titel: Bis ans Ende des Horizonts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Sayer
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und unverhofft Blue sein Leben verloren hatte.
    Bei Sonnenaufgang war das Feuer erloschen, im weiten Umkreis war nichts außer grauer Asche und geschwärztem Metall übrig geblieben. Das Flugzeug war genau an der Stelle aufgeschlagen, wo die Band kurz zuvor noch ihre Vorstellung gegeben hatte. In den Trümmern fand Marks noch die deformierten Metallringe seiner Trommel. Die große Spule, auf der Pearl zuletzt gesungen hatte, war nur noch ein verkohlter Stumpf. Unter einem Wrackteil fand Pearl zwei verbogene Bajonette und den Dämpfer der Posaune.
    Erst als Marks und sie Teile einer Tragfläche beiseitehievten, entdeckten sie das, was von Blue übrig geblieben war: zwei schwarze Klumpen, die einmal seine Armeestiefel waren, sowie seine angelaufene Kennmarke. Alles andere war bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Die Stelle war so durchgeglüht, dass man nur mit Mühe die Überreste seines Körpers ausmachen konnte. Es gab nur noch einzelne Tupfen von Blut, Asche und einige Stückchen geschmolzenen Messings, die Bruchstücke seiner Posaune, derentwegen er sein Leben riskiert und es so schnell verloren hatte. Vom Schmerz überwältigt fiel Charlie auf die Knie und starrte die Stelle an. Dann nahm er einen Klumpen vom Boden auf und hielt ihn in der Hand.
    Er verharrte stundenlang an dieser Stelle und berührte hin und wieder den Boden. Ab und zu traten Pearl und Marks zu ihm und boten ihm eine Zigarette oder einen Schluck Whisky an, was er wortlos akzeptierte. Aber auch seine lange Totenwache vermochte es nicht, wie in einem rückwärts laufenden Film, das Flugzeug wieder in die Luft zu heben und seinen Geliebten wieder zum Leben zu erwecken. Eigentlich war für diesen Vormittag in Nadzab bereits eine Vorstellung geplant, doch Rudolph hatte das Konzert auf den folgenden Nachmittag verlegt, nachdem er über Blues Tod und Farthings Ausfall gegen die Amerikaner sowie dessen anschließenden Gewahrsam informiert worden war.
    Gegen Mittag erlaubte Charlie endlich Pearl und Wanipe, die wenigen sterblichen Überreste in einen Leichensack zu überführen. Sie legten auch seinen Schildpattkamm und die Reste seiner Posaune mit hinein. Am späteren Nachmittag wurde Farthing wieder freigelassen, und die Bandmitglieder versammelten sich für eine Trauerzeremonie um den Leichensack. Charlie spielte My Baby’s Wild About My Old Trombone als verhaltenes Solo. Farthing sprach darüber, wie er Blue bei einem Auftritt im Albert Palais zum ersten Mal begegnet war. Blue kam in einem Dinnerjackett und mit der Posaune in der Hand auf Rollschuhen in den Tanzsaal gesaust. So hatte er bereits den ganzen über fünf Kilometer langen Weg von seiner Wohnung in Chinatown zurückgelegt, weil es preiswerter war und schneller ging, als den Bus zu nehmen. Zuletzt erzählte auch noch Marks eine heitere Anekdote über ihren toten Kameraden. In der Dämmerung wurde sein Leichensack zur Landebahn getragen, in ein Flugzeug geladen, um ihn über Finschhafen nach Sydney zu fliegen, wo für Blue eine katholische Totenmesse gelesen und er anschließend in Rookwood begraben werden sollte, ganz in der Nähe vom Wohnort seiner Mutter. Alle Bandmitglieder beobachteten, wie das Flugzeug auf die Startbahn rollte. Als es abhob und über die umliegenden Baumkronen stieg, legten alle einander die Arme um die Schulter und schauten ihm nach, wie es über dem Camp und den Hügeln abdrehte, weiterflog, bis es nur noch so groß wie ein Spatz war und schließlich hinter den Wolken verschwand.
    Der Jeep rumpelte die enge Straße nach Nadzab entlang. Der befehlshabende Offizier des amerikanischen Camps hatte angeordnet, die Band mit einer Militäreskorte dorthin zu bringen, weil überall feindliche Soldaten lauern konnten; je weiter nördlich, desto größer war die Gefahr.
    Von den Hügeln hörte man immer wieder Gewehrsalven. Charlie saß zusammen mit Pearl auf dem Rücksitz, seine Hände hielt er im Schoß gefaltet. Er war den ganzen Vormittag über sehr still. Völlig mechanisch und apathisch hatte er sich angezogen und seine Sachen gepackt. Einmal hatte seine Begleiterin beobachtet, wie er ein Hemd von Blue an sein Gesicht presste und den Körpergeruch seines Geliebten tief einatmete.
    Nach ungefähr zehn Minuten Fahrt sahen sie neben der Straße einen Toten auf dem Bauch im Schlamm liegen. Der Fahrer bremste scharf, und Pearl sprang vom Jeep herunter. Sie drehten den Toten auf den Rücken. Es war ein Japaner, seine Augen waren starr, und seine Hand hielt eine Art Papier

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