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Bis ans Ende des Horizonts

Bis ans Ende des Horizonts

Titel: Bis ans Ende des Horizonts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Sayer
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dem PX geschickt. Dort konnten sie sich waschen und sich für ihre Vorstellung vorbereiten. Während die anderen auspackten, schlich Pearl sich davon und drehte eine Runde durch das Camp. Mit klopfendem Herzen schaute sie sich unauffällig das Gesicht jedes schwarzen Soldaten, der ihr über den Weg lief, genauer an. Sie nahm noch einmal die GIs, die den Lastwagen abluden, näher ins Visier, sowie die anderen, die die Gräben aushoben. Sie sah im Verpflegungszelt und in den Latrinen nach. Eine kleine Gruppe badete gerade in einem schilfigen Teich in der Nähe; sie füllten ihre Helme immer wieder mit Wasser, das sie sich über den Kopf und den Rücken schütteten. Sie lief darauf zu, aber James war nicht unter den nassen Gesichtern, die zu ihr aufblickten.
    Schließlich ging Pearl zurück in den PX und bestellte sich eine Cola. In einer Ecke der PX-Baracke schlief ein winziger Welpe mit rehfarbenem Fell. Zwei Australier kamen herein und kauften eine Dose Bohnen mit Speck in Tomatensauce. Nachdem die beiden gegangen waren, setzte sich Pearl auf einen Hocker, drehte sich eine Zigarette und bot ihren Tabaksbeutel auch dem Verkäufer an. Der Mann hinter der Theke war ein Weißer mit schweren Lidern, mürrischer Miene und nach unten gerichteten Mundwinkeln. Er schüttelte den Kopf.
    Pearl trank ihre Cola aus und sah dem Mann direkt in die Augen. »Ich suche einen Gefreiten namens James Washington«, sagte sie. »Ein Schwarzer. Schon mal den Namen gehört?«
    Der Verkäufer schaute sie an, als wäre er von einem plötzlichen Geräusch überrascht worden. »Wer nicht?«
    »Er ist doch nicht tot, oder?«
    Der Mann zuckte mit den Schultern.
    Pearl folgte ihm, als er am Tresen entlangging. »Was soll das bedeuten?«
    Er öffnete den Kronkorken einer Flasche, und Bier schäumte über den Rand. »He, Billows!«, rief er. »Hier ist ein Aussie, der wissen will, was aus unserem großen schwarzen Hoffnungsträger geworden ist.«
    Der Mann namens Billows verdrehte die Augen. Der Welpe erwachte und streckte die Glieder. »Mensch, das ist schon ein verrückter Typ.«
    Farthing kam in den Laden hereingestürmt und rief keuchend: »Beeil dich, Willis. Wir sollen um eins anfangen!«
    Pearl packte den Verkäufer am Ärmel und fragte ihn noch einmal nach Washington.
    Dieser schüttelte ihre Hand ab. »Was ist los mit dir?«
    »Wir sind schon spät dran«, erklärte Farthing. »Sie warten schon alle.«
    »Er ist ein Freund von mir«, antwortete Pearl.
    »Willis …«, mahnte Farthing.
    Billows grinste schäbig. »Bist du so ’ne Art Niggerfreund?«
    Pearl drehte sich zu ihm um. »Allerdings bin ich so ’ne Art Niggerfreund!« Sie ging mit geballten Fäusten auf ihn zu. Vor lauter Ärger sprach sie viel zu hoch, ihre Stimme klang sehr weiblich. »Wo zum Teufel ist er?«
    »Was haben wir denn hier?«, sagte Billows feixend. »’ne kleine Schwuchtel?« Der Verkäufer lachte.
    Pearl holte aus, doch Farthing fiel ihr in den Arm.
    »Meine Güte, Willis! Der Sergeant macht uns sonst zur Schnecke.« Und er zog sie hinter sich her nach draußen.
    Das Publikum bestand ungefähr zu zwei Dritteln aus Weißen – Amerikanern und Australiern – und zu einem Drittel aus Schwarzen. Ungefähr sechzig Mann waren gekommen. Später hörte Pearl, dass einige von ihnen dreißig Kilometer durch das Gebirge marschiert waren, nur um endlich einmal wieder die vertraute Musik aus der Heimat zu hören. Sie saßen geduldig auf dem Boden und warteten auf den Beginn der Vorstellung. Pearl sah, wie der Sergeant mit düsterer Miene an einer Lafette lehnte. Die beiden Männer aus dem PX schauten vom Eingang des Ladens aus zu.
    Marks’ kleines Schlagzeug war bei dem Flugzeugabsturz zerstört worden, sodass er nun mit ein paar leeren Ölfässern improvisieren musste. Sie ersetzten Blues’ Nummer mit der mit den Füßen gespielten Posaune mit einer kleinen Trickeinlage, bei der Marks dünne Operationshandschuhe aus Gummi aufblies und daraus die Gestalten einiger Tiere formte. Pearl fragte sich, wo sich Blues’ Leichnam inzwischen befand. In einer Leichenhalle in Finschhafen? Auf einem Eisbett in einem Lazarettschiff? Oder in einem Flugzeug auf dem Weg nach Sydney? Und wo war James? Lebte er überhaupt noch? Oder war er ganz in der Nähe, sodass er gleich hören konnte, wie sie Opus One spielte und dabei seine spezielle Zungentechnik verwendete?
    Bereits während der Ouvertüre hatte sie die Gesichter im Publikum beobachtet und wie die Männer sich zur Musik bewegten und

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