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Bis aufs Messer

Bis aufs Messer

Titel: Bis aufs Messer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carter Brown
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blendete, dann
wandte ich ihr den Rücken zu und warf einen erneuten Blick in den Spiegel, Das
Gesicht, das er reflektierte, sah aus, als gehörte es jemandem, der vor kurzem
von einem Lastwagen zusammengefahren worden war. Es war rot und geschwollen,
die Unterlippe hatte da, wo sie wahrscheinlich von einem Fingernagel getroffen
worden war, einen häßlichen Schnitt. An meinem Kopf befanden sich zwei weiche
schmerzende Stellen, wo sich die Haut unter meinen Fingern breiig anfühlte,
aber nicht geplatzt war. Außerdem hatte ich zwei Rippen, die nicht gebrochen
waren, aber Prellungen erlitten hatten, daß sie schon bei dem Gedanken ans
Atmen zu schmerzen anfingen; es war eine widerwärtige Weise, den Tag zu
beginnen.
    Spiegeleier
und drei Tassen Kaffee hoben mein Wohlbefinden — wenn auch nicht sehr. Ich
schob eine Zigarette in den Mundwinkel und zündete sie an, dankbar, daß sie
zumindest nicht nach Weihrauch roch. Eine Weile saß ich da und überlegte, warum
Antonia Kendall mit solchem Feuereifer bemüht war, mich von der Bildfläche
verschwinden zu lassen und warum sie eigentlich einen solchen Tropf wie Pete
zum Freund hatte. Danach saß ich eine Weile einfach so da, bis mich das
Geräusch der Türklingel aus meiner Trägheit aufrüttelte.
    Die
hektische Diskrepanz lebhafter Farben, als ich die Tür öffnete, war zuviel für meine Nerven. Ich schloß die Augen und hoffte,
es handle sich um eine optische Täuschung; aber als ich sie wieder öffnete, war
alles noch da. Ein hellrotes Strickhemd und himmelblaue Bermudashorts. Ich war
heute früh nicht auf Dichter eingestellt, wimmerte ich innerlich, während meine
Augen sich von dem widerwärtigen Anblick magerer Beine und knochiger Knie abwandten.
Und wer hatte je schon von einem farbenblinden Dichter gehört?
    »Ah!«
sagte Bruce Talbot munter. »Der Spürhund persönlich! Ich habe Ihnen Grüße zu
überbringen, Sir, und trete zu diesem Zweck aus dem strahlenden Morgen in Ihren
nicht allzu bescheidenen Wohnsitz mit einem freundlichen Lächeln der
Entschuldigung auf den Lippen, weil ich Sie zu einer so ungewohnten Stunde
störe. Mein Anliegen ist wichtig, Sir! So wichtig, daß den profanen Zeigern der
tickenden Uhr oder dem verrinnenden Sand des Stundenglases keine Aufmerksamkeit
gezollt werden kann. Die Zeit darf nicht vergeudet werden, wenn Sterbliche im
Namen der Ehre — und Gerechtigkeit — Eile walten lassen müssen. Und wenn ich so
sagen darf — und ich darf wahrlich so sagen — , nie zuvor sind in der Geschichte
der Menschheit der Gerechtigkeit solche Wunden zugeführt worden!«
    Er
fuhr sich mit einer Hand durch die schüttere Mähne seines schlaffen blonden
Haars und machte dann eine plötzliche Geste. »Aber ich vergesse meine Manieren!
Erlauben Sie mir, Ihnen einen Freund vorzustellen, ein Künstler wie ich, einer
der größten Schauspieler unserer Zeit; und sein Name gilt unter den Jüngern der
Melpomene und der Thalia als unsterblich. Sie haben das Vergnügen, Sir, John Ashberry kennenzulernen!«
    Ashberry sah aus wie eine Art lebendes Monument,
geschaffen von einem barocken Künstler mit einem verstohlenen Sinn für Humor.
Er maß gut einen Meter fünfundneunzig, und alles übrige war überlebensgroß,
aber gut proportioniert. Sein massiver Kopf paßte zu
den massiven Schultern, und der runde Bauch schien völlig natürlich, da er von
Beinen getragen wurde, die wie abgesägte Baumstämme aussahen. Er hatte das
Gesicht eines römischen Imperators, der, seit er alt genug war, um sich dafür
zu interessieren, eine fetischistische Neigung zu Orgien hegte. Dichte schwarze
Locken umgaben seinen Kopf, seine riesige Nase war ausgesprochen römisch, und
seine mit schweren Lidern versehenen Augen hatten einen Ausdruck müder
Weltverachtung. Seine Lippen waren üppig und fleischig und seine vier Kinne von
selbstzufriedener Festigkeit. Ich starrte ihn mit offenem Mund an, während er
einen flüchtigen Blick auf den Poeten warf, wobei ein leichtes Lächeln seinen
Mund umspielte, dann begann er in volltönendem, mildem Bariton zu sprechen.
    »Nun,
Bruce«, er schüttelte tolerant den Kopf, »du hast mir mit dieser Vorstellung
beinahe Gerechtigkeit angedeihen lassen.« Dann ergriff er meine Hand und preßte
sie kräftig. »Entzückt, Sie kennenzulernen, Sir! Ich habe eine Menge von Ihnen
gehört — nur Gutes, natürlich — und von Ihrem Ruf als Entlarver übler Verbrechen und feiger Taten. Die Unschuldigen, Sir«, seine Stimme
donnerte ohne ersichtliche

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