Bis das Glück mich findet
dir furchtbar Angst gemacht haben«, fuhr Greg fort. »Kein Wunder, dass du so reagierst. Wir Männer können von Glück reden, dass wir so was nicht durchmachen müssen.«
Sie schloss wieder die Augen. Sie würde ihm nicht zuhören. Sie würde in dem Raum bleiben, den sie gefunden hatte. In diesem stillen Raum in ihrem Kopf, wo niemand ihrer habhaft werden konnte, wo weder Brendan noch Evelyn noch Lily noch das Baby, vor allem nicht das Baby, Zutritt hatten. Wo sie für sich war.
Sie verdiente es nicht anders.
»Weißt du, ich fühle mich manchmal wie du«, drang Gregs Stimme in ihr Bewusstsein. »Manchmal möchte ich mich verkriechen und mich aufs Sofa hocken und nur noch heulen.«
Ihre Lider flackerten, ihre Augen öffneten sich wieder.
»Ich schätze, jeder macht mal so was durch in seinem Leben«, fuhr er fort. »Da hat man das Gefühl, man hat alles im Griff, kann jedes Problem lösen, und dann entwickelt sich alles anders, als man gedacht hat, und plötzlich weiß man überhaupt nicht mehr, wie man damit fertigwerden soll.«
Auf einmal hörte sie ihm doch zu, fragte sich unwillkürlich, welche schlimmen Dinge Greg im Leben passiert waren, mit denen er nicht fertiggeworden war und die seine Stimme so traurig klingen ließen.
»Aber es ist nun mal so, dass wir irgendwann unser Leben weiterleben müssen, nicht wahr?« Er schaute sie aufmerksam an. »Wir können nicht einfach kapitulieren.«
»Kapitulieren?« Ihre Stimme hörte sich an, als käme sie aus weiter Ferne.
»Uns der Dunkelheit überlassen«, sagte er vorsichtig.
»Es ist nicht dunkel.« Eine Träne lief ihr über die Wange. »Es ist nicht dunkel, es ist nur einfach … verkehrt.«
»Was?«, fragte er. »Was ist verkehrt, Domino?«
Sie schlug die Hände vors Gesicht. »Alles.«
»Sag es mir.«
Wieso sollte sie es Greg sagen, wenn sie es nicht einmal Brendan sagen konnte? Brendan war ihr Ehemann. Wem, wenn nicht ihm? Keine Geheimnisse voreinander, wie er immer betonte. Aber manchmal war das Geheimnis so schlimm, dass sie es keinem Menschen anvertrauen konnte. Und schon gar nicht dem Mann, den sie eigentlich lieben sollte.
»Ich hasse mich.« Kaum war es ausgesprochen, sprudelten die Worte nur so aus ihrem Mund. »Ich hasse mich, weil ich mein Kind nicht liebe. Es hat mich fast umgebracht. Alle haben gerufen und geschrien, und ich hörte ›Blut‹ und ›Verbluten‹ und wusste, es ging um mich. Alle hatten Angst und ich natürlich am meisten, und schuld war dieses Baby, aber natürlich hat es keine Schuld. Das Baby hat ja schließlich nicht darum gebeten, auf die Welt zu kommen? Aber es hat mich fast umgebracht, und ich hasse mich, weil ich mich vor ihm gefürchtet habe und Todesangst hatte und weil ich nicht glücklich sein kann, obwohl alles gut gegangen ist und wir beide völlig gesund sind. Ich hasse mich, weil ich es nicht mal in den Arm nehmen will, und wenn ich es trotzdem tue, erinnert es mich wieder an die Zeit im Krankenhaus. Ich hasse es, dass es ein Mädchen geworden ist, wo wir doch schon einen Namen für einen kleinen Jungen ausgesucht hatten und Brendan sich einen Sohn gewünscht hat, damit er ihm was beibringen und mit ihm was unternehmen kann. Ich hasse mich, weil ich Brendans Nähe nicht mehr ertrage. Ich hasse mich, weil ich Selbstmordgedanken habe. Ich hasse diese Schwärze und Taubheit und dass mich jeder angafft und über mich redet …« Helle Tränen stürzten ihr aus den Augen und rollten über ihre Wangen, ihre Hände. »Ich hasse mich, weil ich so blöd war und überhaupt schwanger geworden bin. Und dass ich mir eingebildet habe, jetzt, wo Brendan mich geheiratet hat, wird alles wunderbar. Ich hasse es, dass meine Mutter recht behalten hat, dass ich nun bestraft werde, weil ich so ein widerspenstiges, egoistisches junges Ding war, das unbedingt viel zu kurze Kleider und viel zu hohe Absätze tragen musste …«
»Ach, Domino.« Greg legte seinen Arm um ihre Schultern und drückte sie fest an sich. Und obwohl sie es seit der Geburt des Babys nicht ertragen hatte, von Brendan oder Evelyn oder Lily berührt zu werden, empfand sie auf einmal Gregs körperliche Nähe als tröstlich. Sie konnte nicht sagen, warum sie Greg ihre dunkelsten Gedanken gestanden hatte. Sie wusste nur, dass sie eine nie gespürte Geborgenheit fühlte, als er sie sanft in seinen Armen wiegte.
Am nächsten Tag ging sie zum Arzt. Brendan begleitete sie in die Praxis, wo Dr. Stevenson sie untersuchte und ihr zuhörte. Wie er ihr erklärte,
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