Bis das Herz brennt - die inoffizielle RAMMSTEIN Biografie
den letzten Winkel der ‚Color-Line-Arena‘ geblasen, um dem Publikum einen realen Eindruck zu vermitteln, wie der US-amerikanische Wahlkampf abgegangen sein muss.“
Doch auch andere Stücke mit plakativen Titeln und Texten – bevorzugt von der „Reise, Reise“-CD – schrien geradezu nach brachialer Bühnenumsetzung. Und so kam es schließlich auch. Vermutlich das drastischste Beispiel: „Mein Teil“, das sichmit Kannibalismus beschäftigt. Während des Lieds wurde mithilfe eines Flammenwerfers ein überdimensionaler Topf – ästhetisch angelehnt an die Kannibalen-Kochtöpfe, die man aus den Tarzan-Filmen der 1930er Jahre in Erinnerung hat – befeuert, in dem sich der arme Flake unter vollem Einsatz seiner arbeitenden Schweißdrüsen tummelte. Sänger Till wusste dem im Pot Sitzenden und Schwitzenden mit blutverschmierter Metzgerschürze und Messermikrofon, im wahrsten Sinne des Wortes, ordentlich einzuheizen.
Schon der Beginn der Show war an spannungsgeladener Dramaturgie kaum zu überbieten: Unter Sirenengeheul betraten als amerikanische Polizisten mit Baseballschlägern bewaffnete Akteure die Bühne. Gleich darauf drangen aus den Monitoren quälend laut die ersten Töne von „Reise, Reise“ und brachten den das Bühnenbild verhüllenden schwarzen Vorhang zum Einsturz. Und da waren sie, die sechs Rammsteiner, auf einem Podest thronend. Nicht lange allerdings, denn die sechs Herren ließen sich von der rund drei Meter hohen oberen Ebene mit Hilfe von Hebelarmen auf die untere Bühne einschweben. Majestätisch sah das aus, erhaben – obwohl es sich um einen Abgang nach unten handelte, was wiederum für das Ironieverständnis des Sextetts spricht.
Bereits beim zweiten Stück „Feuer Frei“ – einem Soundtrack-Titel zum Actionstreifen „Triple X“ – verwandelte sich die Bühne in eine wüst wuchernde Feuershow. Feuer – seit jeher das wichtigste Element jedes Rammstein-Gigs. Doch während der „Reise, Reise“-Konzerte wurde am heißesten aller Elemente noch weniger als sonst gespart. An allen Ecken und Enden knallte und krachte es, aus jedem Winkel schienen Flammen gesprüht zu werden.
Interessant: Wer sich die Setlist der Auftritte aus den Jahren 2004 und 2005 ansieht, stellt fest, dass Rammstein bei der Auswahl der Songs alles andere als auf Nummer sicher gingen. Stattdessen wurden die meisten der damals aktuellen „Reise, Reise“-Lieder optisch und akustisch umgesetzt, Klassiker wie „Seemann“ oder „Bück dich“ fehlten komplett. Flake hatte das bereits im Vorfeld in einer Presseerklärung angekündigt: „Wir wollen live“, ließ er verlauten, „viele neue Nummern vorstellen, so wie sich das für eine innovative Band wie uns gehört.“
Aber natürlich durften dennoch in dem rund zweistündigen Programm einige der Highlights von vorangegangenen Alben nicht fehlen: „Links 2 3 4“, „Du riechst so gut“ und die Hymne „Sonne“ wurden bei jedem Gig angestimmt, allerdings noch eine gehörige Prise schneidender und zackiger als auf den Studiovorlagen. Als Rausschmeißer wurde hingegen häufig das eher ruhig Stück „Stripped“, die Coverversion einer Depeche-Mode-Komposition und Rammsteins einziges englischsprachiges Lied im Repertoire, zelebriert. Dadurch wurde gewährleistet, dass die bis dahin schwer aufgewühlte und aufgeheizte Masse der Konzertbesucher wenigstens halbwegs wieder runterkam.
Kein Wunder, dass die Kommentare der Fans unmittelbar nach Ende der Auftritte durchgehend überschwänglich waren: „Konzert des Jahres“, war zu hören, „absolutgigantisch“, „wahnwitzig“, „unglaublich“, um nur die meistgenannten Umschreibungen zu zitieren.
Was auffällig ist bei Rammstein-Konzerten: Die überinszenierte Selbstdarstellung, dieser Hang zu extremer Ironie, gepaart mit theatralischem Bombast, kommt live noch eindeutiger rüber als auf den Tonträgern. Rammstein nehmen nichts und niemanden ernst, spielen souverän mit klassischer Romantik wie mit jedwedem Tabu. Ein Rammstein-Gig, das ist ganz großes Kino! Und genau deshalb ist dieses Sextett eine Spielklasse ganz für sich alleine, ein Mikrokosmos, der um sich selbst kreist.
Oder, wie es im Internetportal
whiskey-soda.de
zu lesen war: „Auch wenn sich Rammstein ungerechtfertigterweise immer wieder den Vorwurf gefallen lassen müssen, sie seien musikalisch etwas eintönig und spielten zu leichtsinnig mit Elementen deutscher Geschichte, die nur allzu gerne missverstanden werden, sind sie wirklich eine
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