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Bis dass der Tod uns scheidet

Bis dass der Tod uns scheidet

Titel: Bis dass der Tod uns scheidet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Mosley
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wissenschaftliches Wort dafür, aber unsere Mütter hätten dazu ›Nerven‹ gesagt. Die Ärzte meinen, es gäbe eine Medizin, die ich nehmen könne, aber lieber halte ich es um mich herum still und friedlich. Dann muss ich nicht das Gefühl haben, ich sei krank. Sie lächeln, Mr. McGill.«
    »Wirklich? Ist mir nicht aufgefallen. Ich denke, das liegt daran, weil Sie gerade sagen, dass Sie nur dann emotional verwirrt sind, wenn jemand anderer im Raum ist.«
    Azure lachte. Es klang sehr angenehm.
    »Ja. Und nur ein freundlicher Herr wie Sie, der sich still verhalten kann, kennt mein wahres Ich.«
    »Wer zahlt für all das hier?«
    »Das ist eine recht grobe Frage, mein Herr.«
    »Tut mir leid, aber ich versuche zu verstehen, mit wem ich es hier zu tun habe. Ich meine nicht Sie, sondern Ihre Töchter und Mr. Tyler.«
    »Das Haus gehört Cyril. Er hat es gekauft, als Chrystal für mich keinen geeigneten Platz finden konnte«, sagte sie und fügte hinzu: »Sie sagten, sie hätten eine Nachricht von ihr?«
    »Indirekt«, räumte ich ein. »Eine Frau, die wie Chrystal aussieht, kam in mein Büro und bat mich, ihr bei einem Problem zu helfen. Langsam fange ich an zu glauben, dass es Shawna war, die bei mir war, und ich versuche herauszufinden warum.«
    »Hat sie Sie gebeten, Chrystal zu helfen oder ihr selbst?«, fragte Azure ohne das geringste Zeichen von Anspannung.
    »Chrystal«, antwortete ich. »Aber ich bin mir nicht sicher, dass Chrystal ein Problem hat.«
    »Sehr merkwürdig«, meinte Azure. »Chrystal ist diejenige, die sich um ihren Bruder und ihre Schwester kümmert. Sie hat mich erst vor zwei Tagen hier besucht.«
    »Wirklich? Was hat sie gesagt?«
    »Cyril und sie wollten Segeln gehen«, antwortete Azure. Das war die erste Lüge, die sie mir auftischte. »Chrystal hatte immer schon zur Handelsmarine gehen wollen, wie ihr Vater. Sie liebt Schiffe, und Cyril ist kein sehr körperbewusster Mann. Wenn sie auf seine Jacht gehen, lässt er sie alles machen.«
    »Wissen Sie, wo ich Shawna finden kann, Ms. Chambers?«
    »Azure. Nennen Sie mich Azure.«
    »Azure«, sagte ich wie zur Beschwörung.
    »Es gibt da ein rotes Ziegelgebäude auf der Avenue D gleich jenseits der 1st Street, so hat Chrystal es mir erzählt. Auf dem Dach steht ein Espenhain.«
    Einen Augenblick lang schweiften Azures Gedanken zu der weit entfernt liegenden Behausung ihrer Tochter, des wilden Geschöpfs. Ihre Lippen zitterten, und sie richtete ihren Blick wieder auf die beruhigende leere blaue Wand.
    »Ich sollte langsam gehen«, meinte ich.
    »Nathan, mein Mann, weiß nicht, wie er mit mir reden soll«, erklärte sie. »Er muss sich dabei zu viel bewegen, und er, er fasst mich an.«
    »Ich werde jetzt aufstehen«, sagte ich.
    »Es war nett, Sie kennenzulernen, Mr. McGill. Sie sind sehr freundlich.«

18
    Es war später Nachmittag, aber noch immer stand die Sommersonne am Himmel und strahlte. Ich wollte erst quer durch die Stadt bis dorthin gehen, wo Shawna vielleicht wohnte, ließ die Idee aber für den Augenblick fallen.
    Das Alter hat mich gelehrt, mir bei manchen Zielen Zeit zu lassen.
    Dazu gehörte auch der Heimweg.
    Ich nahm die Greenwich Street nach Norden, und dabei ging mir auf, dass ich die acht Meilen bis zur Upper West Side und meiner zerbrochenen Familie wohl zu Fuß gehen würde.
     
    Manhattan zu Fuß zu durchqueren ist eine weitere Übung für mich. Wenn ich den Straßenzügen meiner missratenen Jugend und meiner kriminellen Erwachsenenzeit folge, spüre ich meine ganze Geschichte. Ziegel und Beton, Ampeln und Streifenwagen waren die Anklageschrift für tausend begangene Taten, bei denen ich weder Reue verspürt noch viele Gedanken darauf verschwendet hatte. Ich war nie ertappt oder verurteilt, ja nicht einmal angeklagt worden für all die Leben, die ich zerstört hatte. Doch beim Gehen erinnerte ich mich daran, wer ich gewesen war und warum ich Buße tat, indem ich zum Beispiel geduldig bei Unschuldigen wie Azure Freshstone-Chambers saß.
    An der Christopher Street bog ich rechts ab und ging zur Hudson Street. Sechs, sieben Blocks weiter wurde die Hudson zur 8th Avenue, der Arterie zum Broadway und letztlich zu meinem Zuhause.
    Während ich die 32nd Street überquerte, rief ich die Auskunft an.
    »Nennen Sie bitte Stadt und Staat«, bat mich eine angenehme Frauenstimme über die unsichtbaren Kommunikationswellen.
    »New York, New York«, sagte ich.
    »Sagen Sie ›Wohnung‹ oder den Namen des Unternehmens, das Sie anrufen

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