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Bis dass der Tod uns scheidet

Bis dass der Tod uns scheidet

Titel: Bis dass der Tod uns scheidet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Mosley
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eine Wahl«, erwiderte ich.
    Zu der Lärmdämmung kamen noch ein Dutzend extra großer, extra dicker Plastiksäcke in der kleinen Vorratsnische rechts von mir.
    »Sie wollen damit doch nicht etwa sagen, dass ich über diesen Tisch hier steigen und die Antwort aus Ihnen rausprügeln muss?«, wollte der Cowboy wissen.
    »Ich will damit sagen, Sie sollten mal Ihre Hufeisen kühlen und sich entspannen, Bruder. Cyril muss mich nur anrufen, und ich werde ihm sagen, was ich weiß.«
    Boxen ist eine wunderbare Kunst. Sie lehrt einen, sich inmitten von Gewalt zu bewegen, seine sieben Sinne zu behalten und die Möglichkeit, verletzt zu werden, zu ignorieren. Mehr als aus irgendeiner Predigt lernst du, deinen Feind zu lieben, denn im Ring ist der Feind stets ein klares Spiegelbild deiner selbst. Ira Lamonts Drohung war nichts anderes als ein Gegner in der gegenüberliegenden Ecke, der auf den Gong wartete. Und ich saß da in meiner Ecke, rechnete mit seinem Angriff, liebte ihn.
    Ich wollte den Kampf, aber das wäre keine Lösung gewesen. Ich war kein Boxer, sondern Detektiv. Das hier war nicht mein Kampf, sondern der letzte Wille meiner toten Klientin.
    »Ich bin nicht Ihr Niggerbruder.« Ira Lamont lief schier über vor Schimpfnamen. Er kam aus einer Gegend, wo schon die Ausdrucksweise eine Einladung zur Gewalt war.
    Ich nicht.
    Mein Problem war erheblich komplexer als irgendein Kampf zwischen Kombattanten. Was Lamont wollte, war simpel, gradeheraus. Er wollte, dass ich vor ihm kniete, ihn zum Herrn erklärte und ihm sagte, was ich verheimlichte. Meine Bedürfnisse hingegen waren vielschichtig. Ich musste dafür sorgen, dass Lamont mit intakter Würde und Furcht vor meiner Kraft dorthin zurückkehrte, wo er hergekommen war. So hatte er das Gefühl, irgendwann mit Aussicht auf einen Sieg auf mich losgehen zu können.
    Für mich war er nur ein Ball im Spiel.
    »Ach herrje«, sagte ich, weil ich fand, das sei eine passende Antwort auf seine Beleidigung.
    »Spucken Sie’s jetzt aus?«, wollte er mit einem Ton von Endgültigkeit in seinem Texasslang wissen.
    »Ich glaube nicht.«
    Ira erhob sich halb von seinem Stuhl.
    Ich zog die Pistole aus der Tasche.
    Ira lächelte und richtete sich zu voller Größe auf.
    Ich richtete die Waffe auf ihn, und er war gezwungen, noch einen Scheit auf das Feuer seines Grinsens zu legen.
    Ich spannte den Hahn.
    Eine dünne Schicht Besorgnis milderte sein Selbstvertrauen nur wenig.
    Die Waffe krachte los wie eine Kanone, als ich abdrückte.
    Zu Iras lebenslanger Schande, da bin ich sicher, zuckte er zusammen und sprang einen halben Schritt zurück. Der Schuss hatte ihn weit verfehlt und ein sauberes kleines Loch in die Wand hinter ihm gebohrt. Ira war unverletzt, konnte aber nicht verhindern, dass ihm Schweißperlen auf die Stirn traten.
    Ich richtete die Pistole auf seine Brust.
    Unsere Blicke kreuzten sich.
    Kurz ging mir auf, dass ich erneut die Kontrolle verloren hatte. Aber nicht ohne Grund, wie ich fand. Lamont hatte mich bedroht, beschimpft und versucht, mir Informationen abzuringen, die meine neue Klientin in Gefahr gebracht hätten. Ich hatte auf ihn schießen müssen – oder etwa nicht?
    Ich drückte viermal auf den Knopf der Gegensprechanlage. Damit bedeutete ich Mardi, das Büro zu verlassen – sofort. Dieses Signal hatten wir in ihrer ersten Woche bei mir ausgemacht. Sie wusste, dass sie erst zurückkehren durfte, wenn ich sie auf dem Handy angerufen hatte.
    »Ein Schritt weiter«, sagte ich zu Ira Lamont, »und es wird Ihr letzter sein.«
    Der Cowboy sollte seine Chance haben. Ich hatte keine Ahnung, was ich getan hätte, wenn er mich beim Wort genommen hätte. Aber die hatte er auch nicht. Tatsächlich tat er einen halben Schritt zurück.
    »Sagen Sie Cyril, wenn er wissen will, was ich zu sagen habe, dann soll er vorbeikommen. Nicht anrufen, sondern persönlich vorbeikommen. Von Mann zu Mann.«
    Ich stand schnell auf, und Ira musste sich beherrschen, sich nicht zu ducken.
    »Wir gehen«, forderte ich ihn auf.
    Ira dachte an Widerstand, doch dann ging ihm auf, wie sinnlos das war. Wortlos drehte er sich um und öffnete die Tür. Ich folgte ihm den langen Gang an den leeren Kabinen vorbei bis zu Mardis Schreibtisch. Ich brachte ihn zur Tür, wusste, dass Mardi den Lastenaufzug genommen hatte.
    Nachdem Ira gegangen war, steckte ich die Pistole wieder ein und ging zu dem größeren Besenschrank, der sich am anderen Ende des Gangs befand. Ich nahm das gerahmte Bild einer langhalsigen,

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